nd-aktuell.de / 08.04.2015 / Brandenburg / Seite 9

»Der Senat hat anscheinend Angst vor seinen Bürgern«

Mehr Demokratie fordert eine Reform der Volksgesetzgebung, die Vorschläge aus der SPD zu konsultativen Referenden lehnt der Verein ab

nd: Die Debatte um direktdemokratische Instrumente in Berlin läuft. In einer Senatsvorlage aus dem März heißt es zu Vorschlägen der Opposition, dass der Senat keine Veranlassung zu grundlegenden Änderungen sieht. Wie bewerten Sie das?

Wiedmann: Wir sehen durchaus deutlichen Reformbedarf - sowohl bei Volksbegehren als auch bei Bürgerbegehren. Dass die Koalition das anders sieht, und in dieser Legislatur nichts an dem Abstimmungsgesetz als auch an dem Bezirksverwaltungsgesetz ändern will, wo beides geregelt ist, stand allerdings ausdrücklich im Koalitionsvertrag.

Dennoch hat vor kurzem der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh den Vorschlag unterbreitet, eine Volksabstimmung wie zu Olympia einzuführen, die nicht durch die Berliner, sondern durch das Parlament initiiert wird. Das hält der Wissenschaftliche Parlamentsdienst auch grundsätzlich für möglich. Was halten Sie davon?

Der Umgang mit der Volksbefragung zu Olympia zeigt, dass es kein geeignetes Instrument ist. Es dient immer den Regierenden und es wirkt immer sehr willkürlich, welches Thema dann letztlich für einen Volksentscheid ausgewählt wird. Die direkte Demokratie dient dazu, dass die Bürger ein Vetoinstrument in die Hand bekommen, ein Korrekturinstrument, über das sie selber entscheiden.

Also sollte es ein Einspruchsreferendum geben, wie es auch die Opposition fordert?

Auch wir halten ein solches fakultatives Referendum für die bessere Variante. Da entscheiden eben tatsächlich die Bürger selbst, über welchen parlamentarischen Beschluss sie eine Abstimmung herbeiführen wollen. Bei den Volksbefragungen von oben besteht dagegen die Gefahr, dass dieses Instrument manipulativ eingesetzt wird.

Damit die Themenwahl nicht manipuliert wird, schlägt die SPD vor, dass im Parlament eine Drei-Viertel-Mehrheit der Abgeordneten der Volksbefragung zustimmen muss; damit wäre die Opposition eingebunden.

Das wäre mit Sicherheit die bessere Variante, wenn man das schon einführt. Aber der Umgang mit der Olympia-Frage zeigt doch, dass sie es so machen, wie sie wollen: Wir haben das alles vorher diskutiert, soll ein entsprechendes Instrument in die Verfassung und mit welcher Mehrheit soll das Parlament dann eben eine entsprechende Volksabstimmung einleiten können - nichts von dem wurde eingeführt. Stattdessen wurde einfach ein Gesetz verabschiedet und keine dieser Hürden dort reingeschrieben.

Aber auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte vor kurzem im »nd«, das Einholen von »Stimmungsbildern« sei die folgerichtige Debatte nach Tempelhof und Olympia.

Stimmungsbilder können sie immer einholen. Die Politik hat doch ein Instrument: Sie kann selber entscheiden, was sie durchsetzen will. Legitimiert durch das Wahlergebnis. Sieht die Bevölkerung das anders, kann sie ein Referendum einleiten, das letztendlich zu einem Volksentscheid führen kann.

Aktuell zieht der Senat aber auch Bauverfahren an sich und unterläuft damit Bürgerbeteiligungen.

Man muss unterscheiden zwischen Beteiligung und Volksabstimmungen. Direkte Demokratie ruft immer eine verbindliche Entscheidung der Bürger hervor. Da besteht Handlungsbedarf. Vor allem die Terminfrage bei Volksentscheiden sollte anders gestaltet werden: Der Senat darf nicht länger den Termin bestimmen, sondern der muss zwingend mit Wahlterminen gekoppelt werden. Auch an die zu hohen Quoren muss man ran. Dass der Senat überall, wo es Protest gibt und Bürgerbegehren gestartet werden, die Entscheidung an sich zieht, geht nicht. Der Senat hat anscheinend Angst vor seinen Bürgern. Dabei geht es oft nicht um das Verhindern von Projekten, sondern nur die Verbesserung von Bauplänen.

Glauben Sie, dass die Reformen in der nächsten Legislatur kommen?

Das ist gut möglich. Dafür muss sich aber etwas an der Regierungskonstellation ändern. Zwingende Volksentscheide bei Privatisierungen zum Beispiel könnten dann wieder auf die Tagesordnung gelangen. Das hat die SPD ja auch bereits angekündigt. Auch die hohen Hürden für verfassungsändernde Volksbegehren könnten dann diskutiert werden.