nd-aktuell.de / 10.04.2015 / Politik / Seite 7

Viele werden nach Europa flüchten

Das libysche Chaos breitet sich aus / Verhandlungslösung des UN-Sonderbeauftragten könnte einfach ignoriert werden

Mirco Keilberth, Ben Guardene 
an der libysch-tunesischen Grenze
Die Lage an den verschiedenen Kriegsschauplätzen in Libyen eskaliert trotz fortgesetzter Friedensgespräche.

Nach den Westafrikanern werden sich auch viele Libyer bald auf den Weg nach Europa machen, erwartet im westlibyschen Zauwia der dort für Finanzen zuständige Fathi Elfar. Unweit der tunesischen Grenze fehlen in seiner 50 000 Einwohner zählenden Gemeinde Verbandsmaterial und Medikamente.

»Jede Familie in Zauwia hat mittlerweile Flüchtlinge aus Tripolis aufgenommen«, sagte der 55-Jährige verzweifelt. Im Krankenhaus seien schon Dialysepatienten gestorben, weil die Regierung in der 40 Kilometer entfernten Hauptstadt praktisch über kein Budget mehr verfüge. Für die Versorgung der Krankenhäuser und Flüchtlingslager wird mangels Geldes und Nachschubs immer schwieriger, klagen Bürger auf beiden Seiten.

Im ostlibyschen Bengasi, wo die libysche Armee seit Monaten versucht, die Extremisten der Ansar Sharia Milizen aus der Millionenstadt zu vertreiben, haben laut der Hilfsorganisation Roter Halbmond mehr als 50 000 Familien ihre Häuser verlassen. »Wir rechnen mit mehr als 400 000 Vertriebenen im ganzen Land«, so ein Mitarbeiter gegenüber »nd«. »Hinzu kommt der Strom an Migranten, die sich über den Sudan und Niger nach Europa durchschlagen wollen.«

»Solange Staaten mit Waffengewalt ihren Einfluss auf unser Öl sichern wollen, sind Verhandlungen doch aussichtslos«, klagt Fathi Elfahr, der nun mit einer Bürgerinitiative Geld für das Krankenhaus sammelt.

Da sich inmitten des Machtvakuums nun auch noch der Islamische Staat in den Hafenstädten Sirte und Derna festgesetzt hat und immer mehr arbeitslose Libyer rekrutiert, läuten vor allem bei den Mittelmeeranrainern Italien und Malta die Alarmglocken. Bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Algerien und Ägypten warnte der italienische Außenminister Paolo Gentiloni eindringlich vor der Gefahr, die von dem libyschen Chaos für Europa ausgehe.

Der UN-Sonderbeauftragte Bernadino Leon zeigte sich optimistisch, dass bei den Verhandlungen der Karama Allianz mit den in Westlibyen dominierenden Islamisten von »Fajr Libya« eine Einheitsregierung zustande kommen könne. Angesichts der Luftangriffe, Selbstmordattentate und schweren Kämpfe wird jedoch befürchtet, dass eine Verhandlungslösung zwar von den Vereinten Nationen als Erfolg gefeiert, aber von den über 50 größeren Milizen und der libyschen Armee ignoriert werde.

Die Nachbarstaaten Libyens wie auch die Europäische Union bekräftigten ihre Unterstützung für das Verhandlungskonzept des spanischen Diplomaten Leon, der seit Januar die libyschen Kontrahenten nach Genf und Marrakesch lud. Aber abgesehen von einem einem mehrstündigen Waffenstillstand steht er noch mit leeren Händen da. Außer Italien zeigt sich kein Land bereit, eine Friedenslösung mit einer UN-Beobachtertruppe abzusichern.

Während Algerien strikt auf Nichteinmischung besteht, beliefert die ägyptische Armee die von den Stämmen Ostlibyens unterstützte Armee des libyschen Generals Khalifa Hafter mit Waffen. Von Katar und der Türkei gecharterte Transportflugzeuge versorgen die Allianz islamistischer Milizen »Fajr Libya« über die Flughäfen Maitga in Tripolis und die zahlreichen kleinen Landebahnen der Sahara- Ölfelder mit Munition.

Derweil versucht Leon weiter, das im Juli gewählte Parlament mit dem von Milizen unterstützen Nationalkongress an der Macht zu beteiligen.