Kunst als Standortfaktor

Der Berliner Senat will aus dem Atelierbeauftragten einen »Raumbeauftragten« machen. Droht jetzt die Kommerzialisierung der Kultur?

  • Diego Castro
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitte März hat der Atelierbeauftragte Florian Schmidt seinen Masterplan dem Berliner Senat vorgelegt. Bis 2020 sollen 2000 neue Ateliers entstehen. Die Stadt lenkte ein. Das Ende des Berliner Ateliernotstands schien in Sichtweite zu sein.

Den Bissen kaum im Mund, macht sich ein bitterer Nachgeschmack breit. Aus der Kulturverwaltung wurden dieser Tage Pläne laut, den Posten des Atelierbeauftragten, bislang an das Kulturwerk des Berufsverbands bildender Künstler (bbk) angeschlossen, einem erweiterten Aufgabenfeld zuzuführen. Ein »Raumbeauftragter« solle künftig bei infrastrukturellen Maßnahmen eine einheitliche Struktur schaffen. Die Rauminteressen der »Kreativen« sollen spartenübergreifend vertreten werden. Klingt gut. Wäre da nicht die obskure Formulierung »Kreative«. Werden also auch Vertreter der Kreativwirtschaft künftig eingeschlossen?

Als Vertreter des bbk sei Florian Schmidt nicht neutral, so der implizite Vorwurf der Senatskulturverwaltung. Von der zentralen Steuerung der Raumfragen erhofft sie auch personelle Entlastung. Doch deshalb den Atelierbeauftragten abschaffen? Interessenskonflikte oder Fragen des Mandats bleiben da unberücksichtigt. Derzeit agiert der Atelierbeauftragte im Sinne einer legitimierten Interessenvertretung der Künstler. Der bbk befürchtet mit dem Ende des seit 1991 bestehenden Auftrags das Ende der Neutralität des Amtes. Zurecht fragt sich Schmidt, warum die bewährte Struktur aufgelöst werden soll. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen zu begegnen, seien zwei »trennscharfe Programme« besser, sagt er. Das gäbe mehr Planungssicherheit und verhindere Haftungsgemeinschaft.

Das eigentliche Problem ist das durchlässige Konzept eines »Raumauftrags«. Die schwammige Formulierung »kreative Szene« lässt argwöhnen, die konzeptuelle Unschärfe solle der Verquickung von Kultur und Kommerz dienen. Liest man Ausführungen des Kulturstaatssekretärs fällt auf: Wenn Tim Renner über Kunst redet, spricht er von Wirtschaft. Doch der kommerzielle Erfolg von Musicals scheint auch für Renner nicht maßgebend. Andere Kunstsparten funktionierten so nicht und benötigten Unterstützung.

Die »Kreativität der Künstler« ist in Renners Diskurs nur »Rohstoff« für die Kulturwirtschaft. Den Zusammenhang zwischen Kultur und Wirtschaft zu betonen, sehe er als eine der wichtigsten Aufgaben, betont er immer wieder. So entsteht der Eindruck, aus Kulturförderung soll Wirtschaftsförderung im Schlafrock werden. Start-ups könnten von Kulturförderung profitieren. Kunst würde lediglich Standortfaktor.

Über dahinter stehende Stadtentwicklungsideen kann man spekulieren. Es erinnert an die überkommenen Theorien des US-Ökonomen Richard Floridas, der zu Beginn der 2000er Jahre versuchte, einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Ansiedlung kreativer Eliten herzustellen. Weiche Standortfaktoren wie die Anwesenheit von Künstlern und Lebenskünstlern standen im Zentrum seiner Erwägungen.

Noch sind Neuköllns Cafés voll von internationalen Hipstern, die Kreativarbeit auf Macbooks erledigen. Doch der Brain-Drain, das Abwandern kreativer Intelligenz, steht dank Mietanstieg und schlechter Verdienstmöglichkeiten bevor. Floridas populäre Ideen haben bei der Neoliberalisierung mancher Stadt Flurschaden angerichtet. Nach Gentrifizierung und nur noch geplantem Chaos gibt es für den Verbleib mobiler Eliten wenig Gründe. Florida selbst gesteht das Scheitern seiner Theorie mittlerweile ein.

Auch in Berlin könnte sich die Vision einer Synergie zwischen Innovationsbranche und Kunst als Fata Morgana entpuppen. Die Deregulierung der Liegenschaftspolitik zeigt: Steuerung und Mitbestimmung ist dringend nötig. Räume für Kultur sind wichtig. Doch wer Kultur nur als Wirtschaftsfaktor denkt, muss sich über Skepsis nicht wundern. Die Wirkung flüchtiger Ressourcen wie »kreativer Intelligenz« auf die komplexe Wirtschaftssituation der Stadt sollte man nicht überschätzen. Die Entgrenzung kultureller Sparten könnte sich kontraproduktiv auswirken. Wenn Kuratoren Theater leiten, mag das zu kurzfristigen Erfolgen führen. Nachhaltige Qualität resultiert daraus nicht zwingend. Die aber braucht Berlin, soll aus der Boom-Town keine Shrinking-City werden.

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