Hätte ich doch, hätte ich doch nicht

Lesung am BE: »Johann Faustus« von H. Eisler

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Das war der Ton. Das war er immer. Das blieb er, in Varianten und Färbungen. Der Ton der Zurechtweisung, die Stimmlage der Peitschung, die Klangfarbe der Züchtigung. Hanns Eisler floh entnervt nach Wien, kam erst nach zwei Jahren zurück nach Ostberlin. Frühjahr 1953. Im »Neuen Deutschland« hatte dessen stellvertretender Chefredakteur Wilhelm Girnus - nach »Fühlungsnahme mit dem ZK« - das »Volksfremde und Antinationale« von Eislers Opernlibretto »Johann Faustus« gegeißelt. In drei Sitzungen einer sogenannten Mittwochsgesellschaft der Akademie der Künste war der literarische Wurf des Komponisten durchknetet, durchwühlt worden, und man war natürlich bis in die fragwürdig disponierte Seele des Musikers vorgedrungen, zu den unguten Verklumpungen von Talent und ideologischer Fahrlässigkeit - Brechts Freund sei geprägt von »Überresten kosmopolitischer Auffassungen«. Opernregisseur Walter Felsenstein wird erschrocken eine »Aggressivität« der Angriffe feststellen , die ihm »Herzklopfen« verursache; Eisler werde ja geradezu als »kulturpolitischer Verbrecher und Vaterlandsverräter« vorgeführt.

Mit »Johann Faustus« erlebte sie nun einen neuen Höhepunkt: jene Lesereihe im Berliner Ensemble, die unter Leitung von Manfred Karge und Hermann Wündrich verbotene oder vergessene DDR-Dramatik vorstellt. Als Manfred Karge und Matthias Langhoff 1968 eine Lesung des Librettos im BE vorbereiteten, kam ein Verbot. Karge erzählt: Nein, so habe man im Kulturministerium gesagt, man sei längst nicht mehr gegen den Stoff, aber Anfang der Fünfziger war der österreichische Austro-Kommunist Ernst Fischer ein heftiger Verteidiger Eislers, und jetzt unterstütze dieser Renegat die Konterrevolutionäre um Dubcek in Prag - in dieser Situation den »Faustus« aufzuführen, mute wie eine Rehabilitierung des Wiener Verräters an. So das Ministerium für absurde Gedankengänge.

Faustus bei Eisler: Der Bauernsohn hatte mit Müntzers Revolutionsfuror sympathisiert. Dann aber die opportunistische Abkehr: »Der Luther hat recht gehabt: Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen.« Der Teufelspakt führt ihn nach Atlanta: »Ich will reisen, hin, wo ich keine Krüppel, wo ich keine Ruinen, wo ich keine Verräter seh - wo mich keiner kennt.« Der Mensch zwischen Selbstbefreiung und - Selbstekel. Der Fluch der Erkenntnis: Sie fordert Taten, aber jede Tat macht schuldig. »O Wissen, du mein Unglück!« Am Ende erfährt Faustus Ruhm durch Adlige: »Die den Müntzer niedergetreten haben, überbringen dir eine Ehrenkette.« Das Elend des deutschen Intellektuellen. Überhaupt die deutsche Misere: sich zerreiben zwischen Aufbruch und Anpassung, zwischen dem feurigen Idealismus des Wortes und der flammenden Folgsamkeit im Handeln - immer den Falschen hinterher. Der kurze Weg: Müntzer zu scheuen und Hitler zu wählen.

Klar, kann man das sagen. Aber doch nicht mittels Faust! Diesem Sinnbild befreiten Geistes durch die DDR-Gründung! Ulbricht keift (der große deutsche Held »formalistisch verunstaltet«), Abusch greift Eisler sogar persönlich an (»aus Übersee kam auch Kleingeist«).

Die 15-köpfige Schauspielerschar sitzt auf einem zweistufigen Podium im Rangfoyer des BE. Wenige Gesten, chorische Einschübe. Es hat den schönen Anschein, als bewegten sich die Akteure selber staunend in dem, was sie da lesen. Als schauten und hörten sie einander mit jenem Unglauben zu, der einen erfasst, wenn man eine Geschichte aus fernen Zeiten erfährt und einfach nicht mehr fassen kann, was Menschen erbittert, roh, ja feindgesonnen aufeinandertrieb. Natürlich nannte sich die harsche Abfuhr damals: Hilfe und die rüde Unkultur: Vertrauensbildung. Hermann Wündrichs bündige Einführung in die Werkgeschichte verwies allerdings auch auf die »immense Anstrengung«, mit der sich der politische Auftraggeber in der DDR den Künsten zugewandt hatte. Der folternde Widerspruch: ausgerechnet an den Schmerzen, die eine diktatorische Partei Künstlern zufügt, die Innigkeit eines Verhältnisses ablesen zu müssen.

Roman Kaminski liest den Faust, Joachim Nimtz den Mephisto. Beide sitzen nebeneinander, nehmen unmittelbar Kontakt auf. Seitenblicke oder Blickabwehr. Kaminski in sich versunken, gefühls- und gedankenzerschunden, Nimtz in gesichtsfrohem Zynismus, mannskräftig, ganz erfüllt vom Selbstbewusstsein des Menschenfängers, der nur lässig mit den Fingern schnipsen muss, um neue Zustände herbeizuzaubern. Martin Seiferts Wagner verbindet treue Hundeaugen mit der töpfischen Motorik des braven Dieners, der seine kleinen Autoritäts-Chancen großtuerisch ausspielt: In den zurückgesetzten Naturen schlummert die größte Sehnsucht nach Polizeiwachtmeistertum. Georgios Tsivanoglou gibt das Kugelrundgemüt des Hanswurst: die zentral-behende Volksfigur, die alle Welt zuerst nach Küchenstandorten absucht und so die Geschmacksnerven als Zentrum der politischen Bildung offenbart. Nicht die schlechteste Art, auf Ideen und Ideologien zu reagieren: alles so prüfen, wie man Essen und Trinken auf Bekömmlichkeit prüft; nur zu sich nehmen, nur auf sich nehmen, was einem gut tut.

Es ist paradox: Im Grunde wurde Eisler dafür geprügelt, dass er als Erster diesen Faust in die Klassenkämpfe seiner Zeit hineinstellte. Gewissermaßen ins gelobte Land des marxistischen Denkens. Nur blieb er dort Mensch: zerrissen. Was Faustus sprengt, ist dieses »Hätte ich doch ... hätte ich doch nicht.« Zu einer Sache zu stehen, bleibt ebenso deformierend, wie sich ihr zu entziehen. Immer hat die Kommissarsethik in der Geschichte die Reihen geschlossen, aber eben auch die der Erschießungskommandos. Die ihre Kugeln abfeuerten und ihre Phrasen. Bis der öde mechanistische Begriff der »wissenschaftlichen Weltanschauung« endlich die neue Vernunft gebar: Links sein - und trotzdem denken. Und vorsichtig sein. Denn: Huii!, wie bis heute hier und da die Parolen flattern: den bürgerlichen Staat zerschlagen!, bloß keine Liaison mit dem Parlamentarismus!, heraus zu einem neuen Avantgardismus!, und Kultur und Kunst, das soll nicht länger nur Faust, das muss auch wieder Faustschlag sein! Für den freien Weg zum Fröhlich-sein-und-singen-Sozialismus. Welt und Gegenwelt, der Mensch dazwischen eingeklemmt. Kaminski erhebt den Schlussmonolog des Faustus zu einer gefurchten Selbstanklage - nicht ohne Beimischung einer ernsten Bitte um Nachsicht.

Was in diesem Text bis heute pocht, ist die Wahrheit, dass ein Eingeständnis von Schuld und das Ermessen von Verlusten der Anfang jedes höher qualifizierten Lebens sind.

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