Sibirische Wälder brennen

Flammen töten viele Menschen und nehmen mehr als 5000 ihr Obdach

  • Ulf Mauder, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Feuerwalze rollt über Teile Sibiriens. Viele Menschen sterben. Milliardenschäden treiben Russland noch tiefer in die Wirtschaftskrise. Umweltschützer machen Behörden verantwortlich.

In Sibirien herrscht Ausnahmezustand: Mindestens 17 Menschen sterben, mehr als 5000 Russen sind obdachlos und auf der Flucht vor den schwersten Wald- und Steppenbränden seit Jahren. Noch ist die Jahrhundertkatastrophe von 2010 nicht vergessen. Und schon fragen sich viele, die bei den Feuern in der russischen Teilrepublik Chakassien ihr Hab und Gut verlieren, ob die Behörden gar nichts gelernt haben.

Mehr als 1000 Häuser, die meisten aus Brettern gezimmert, brennen innerhalb weniger Stunden nieder. Es sind wohl Bauern und Agrarbetriebe, die trotz Verbots in diesen Tagen Steppengras abbrennen. Sie wollen das Gestrüpp schnell und billig loswerden, bevor sie nach dem langen Winter die Saat ausbringen. Doch wie so oft gerät das Abfackeln außer Kontrolle. Die Brände greifen auf Dutzende Ortschaften über.

Die Schäden sind jedes Jahr groß, aber diesmal besonders. Tausende Tiere verbrennen qualvoll in den Ställen. Agrartechnik und Getreidesilos gehen in Flammen auf.

Neben der Nachlässigkeit in der Region, die die Machtzentrale im 4000 Kilometer entfernten Moskau schnell anprangert, ist nun auch das Wetter ein Brandbeschleuniger. Die betroffene Region im Süden Sibiriens klagt über die längste Dürre seit mehr als 60 Jahren. Zudem facht extremer Wind die Brandherde an. Funken springen über. In der Baikalregion geraten Menschen in Panik, weil die Brände auf ein Munitionslager übergreifen könnten.

Die Feuerwalze rollt über die Steppe, Wälder und über Dutzende Siedlungen. 70 Brandherde meldet der Zivilschutz allein am Montag. Diese Brände gäbe es nicht, »wenn nicht mit Streichhölzern gespielt würde. Das waren keine Kinder, sondern erwachsene Leute«, schimpft der stellvertretende Zivilschutzminister Alexander Tschuprijan in einem emotionalen Appell.

Das Staatsfernsehen zeigt, wie der Qualm die Region Chakassien einnebelt. Hunderte klagen über Rauchvergiftungen, Dutzende liegen mit Verbrennungen in Krankenhäusern. Um ihre Lungen vor dem schädlichen Rauchgas zu schützen, halten sich viele feuchte Tücher vor den Mund.

In Chakassien beziffert der Republikchef Viktor Simin allein die Schäden durch abgebrannte Häuser auf fünf Milliarden Rubel (rund 90 Millionen Euro). Das ist ein neuer Schlag gegen den russischen Staatshaushalt. Russland macht ohnehin gerade die schwerste Wirtschaftskrise seit den 1990er Jahren durch. Vor allem Simin muss sich Fragen stellen lassen, warum die Feuer ein solches Ausmaß annehmen konnten.

Viele Russen feierten am Sonntag das orthodoxe Osterfest und den Tag der Raumfahrt, als die Tragödie ihren Lauf nahm. Auch Zivilschutzminister Wladimir Putschkow gerät nun in die Kritik, weil die Löscharbeiten nur zaghaft anliefen an dem Festtag. Es war dann letztlich sein Vorgänger Sergej Schoigu, inzwischen Verteidigungsminister, der sogar das Militär in Gang setzte, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Fünf Jahre nach den schwersten Bränden in der russischen Geschichte kritisieren vor allem Umweltaktivisten, die Behörden des Landes würden weiter nichts für einen besseren Brandschutz tun. Es habe doch immerhin eine Verordnung des Präsidenten gegeben zum Abbrennen von Steppengras, betont der Forstexperte Alexej Jaroschenko von der Organisation Greenpeace Russland. Umgesetzt habe Minister Putschkow diese aber nicht.

Greenpeace warnte im Kurznachrichtendienst Twitter, dass sich die derzeitige Tragödie von Chakassien jederzeit in Russland wiederholen könne. Die Organisation hatte den russischen Behörden mehrfach vorgeworfen, keine Lehren aus der Jahrhundertkatastrophe im Jahr 2010 gezogen zu haben. dpa

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