Perfekter Ort, sich zu verfehlen

»(The) Rolling Floyd« spürt im Cyberspace der Liebe nach

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Umringt von wild tippenden Smartphonikern fragt ein alter Mann einen jungen in der U-Bahn: »Machen Sie hier einen Wettkampf oder spielt jeder für sich allein?« Tja, gute Frage. Eine Antwort bekommt er nicht. Zwei junge Leute stecken verdattert ihr vermeintliches Kommunikationsinstrument weg.

Shakespeares Julia vor dem Computerbildschirm ruft in der Theaterinszenierung »(The) Rolling Floyd« vergeblich nach Romeo. Das Internet erweist sich als perfekter Ort, sich zu verfehlen. Als Julia sich später im kybernetischen Raum in Mick Jagger von den Rolling Stones verliebt, finden die beiden keine gemeinsame Sprache. Julia redet romantisch von der Liebe. Mick versteht Bahnhof. Sie ist hin - wo ist sie hin? -, die Sprache der Liebe.

Ungewöhnliche Begegnungen bringen Nachdenkenswertes in dem Stück, für das Lilian Matzke zusammen mit Joris Löschburg den Text schrieb, Regie führt, Bühne und Kostüme entwarf. Im Cyberspace, wohin Julia durch ihren Computerbildschirm gezogen wird, treffen Figuren unterschiedlicher Zeiten aufeinander. Warum auch nicht? Sie schwirren schließlich alle dort herum.

Zu Shakespeares Romeo und Julia gesellen sich der Kater und ein zaubernder Gehilfe aus Bulgakows »Der Meister und die Margarita«. Teuflische Angelegenheiten kommen in Gang. Zaubereien wie das »handgemachte Licht« von der unglaublich kostümierten Teodora S. Vlad als Gehilfe sind im Spiel. Und immer wieder Rock ’n’ Roll mit Nicolas Pannetier als aufgekratzter Kater mit E-Gitarre. Hier tobt das Leben. Die Gelegenheit ist gut, sich gegen große Langeweile und Spießertum aufzubäumen, die sich in Prenzlauer Berg breitgemacht haben. Versöhnlich am Ende eine herrliche Session mit Bulgakows Kater und Pink Floyd-Gründer Syd Barret.

Friederike Hellmann spielt großartig, und so führt sie auch die Puppen. Vor allem ihre schauspielerische Leistung erklärt, warum die künstlerische Leiterin Liesel Dechant dieses Stück als Berlin-Premiere auf den Spielplan des Theaters unterm Dach nahm. Das erschien ob der mitwirkenden Puppen im Vorfeld fürs Publikum ungewöhnlich an diesem Ort. Aber das ist das Stück ja auch.

Puppenspielkünstler, nunmehr auch im Schauspiel an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« sehr gut ausgebildet, suchen fortwährend nach neuen Formen. Hier wurde etwas noch nicht Gesehenes in hoher Qualität umgesetzt. Kein Wunder also, dass die Truppe sich mit dem Stück im Nachwuchstheaterwettbewerb 2014 zum Thema »Romeo und Julia sind tot!« im Wiener Theater Drachengasse gegen 130 Bewerber durchsetzte und den Jurypreis gewann.

Gut, dass es weitere Aufführungen gibt. Bevor die Inszenierung für zwei Abende ans Theater unterm Dach zurückkehrt, ist es im Spielplan vom Theater Strahl. Die privat geführte Bühne mit Stammhaus und Probebühne in Schöneberg bietet ein anspruchsvolles Programm für Jugendliche ab zwölf Jahren und verweist im Repertoirebetrieb in Berlin auf über 150 Aufführungen. Das Theater erreicht jährlich zirka 35 000 Zuschauer und gastiert international.

In Berlin eroberte sich das Ensemble von über 30 Künstlern mehr und mehr Raum, spielt auch in der STRAHL.Halle am Ostkreuz, im Admiralspalast, in den Uferstudios in Wedding und in der Industriehalle Kaos in Oberschöneweide. Strahl wird zu nationalen und internationalen Theaterfestivals eingeladen und brachte schon Auszeichnungen nach Hause. Für seine Inszenierung »AKTE R« erhielt das Theater den »Antifaschistischen Jugendmedienpreis«. Die nächste Uraufführung »The Working Dead - Ein hartes Stück Arbeit« von Jörg Menke-Peitzmeyer soll am 19 Mai sein.

»(The) Rolling Floyd« (für Jugendliche ab 14 Jahren) am 16. und 17.4. jeweils 11 und 19.30 Uhr im Theater Strahl, Probebühne im Kulturhaus Schöneberg, Kyffhäuserstr. 23, Kartentelefon: (030) 69 59 92 22; am 18. und 19.4., 20 Uhr, im Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg, Tel.: (030) 902 95 38 17

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