Männer aus der Mitte der Gesellschaft

Die Attentäter von Oklahoma planten ihren Terroranschlag monatelang mit militärisch geschulter Präzision. Von Max Boehnel

  • Lesedauer: 3 Min.

Am 19. April 1995 explodierte morgens vor dem Alfred-P.-Murrah-Gebäude im Zentrum von Oklahoma City eine fürchterliche Bombe. Dutzende Mitarbeiter von Bundesbehörden, die gerade ihre Arbeit begonnen hatten, wurden auf der Stelle zerrissen. 19 Kinder in dem ebenfalls im Gebäude untergebrachten Kindergarten starben auf der Stelle. Insgesamt waren 168 Todesopfer zu beklagen, Hunderte von Menschen wurden schwer verletzt. Der Sachschaden belief sich auf über eine halbe Milliarde US-Dollar.

Während über Oklahoma City eine gewaltige Rauchwolke aufstieg und die Rettungsmannschaften Tote und Überlebende bargen, wurde der Attentäter Timothy McVeigh 100 Kilometer entfernt aus Zufall - wegen eines fehlenden Autokennzeichens - von der Polizei angehalten und festgenommen. Wenige Tage darauf wurde ein zweiter Verdächtiger, Terry Nichols, in Handschellen abgeführt.

Die schockierten Amerikaner mussten zur Kenntnis nehmen, dass nicht arabische Terroristen für die Tat verantwortlich waren, sondern zwei weiße, protestantische Amerikaner, noch dazu Veteranen aus dem Irakkrieg - uramerikanische Männer aus der Mitte der Gesellschaft. McVeigh und Nichols hatten sich Ende der 80er Jahre als Armeeangehörige angefreundet. Nichols verließ die Armee und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, während McVeigh in den Irakkrieg zog und eine Karriere in den »Special Forces« anstrebte. Doch daraus wurde nichts. McVeigh zog wie viele andere Rückkehrer nach seiner Teilnahme am Irakkrieg orientierungslos mit seinem Pickup-Truck durch die USA. Er nahm wieder Kontakt zu Nichols auf und fühlte sich angezogen von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremisten, »Survivalists«, privaten Milizen und »gun shows«. Die Szene wurde Anfang der 90er Jahre von zwei Ereignissen aufgerüttelt: In Ruby Ridge im Bundesstaat Idaho lieferte sich die Familie Weaver - Anhänger einer rassistischen Sekte und bewaffnete Regierungsgegner - ein Feuergefecht mit der Polizei. Das Ergebnis: mehrere Tote. Im Frühjahr 1993 belagerte die Bundespolizei in Waco im Bundesstaat Texas ein Gelände einer weiteren religiös-extremistischen Sekte, der Branch Davidians. Es kam aufgrund einer Überreaktion der Bundespolizei zu einem regelrechten Massaker: 86 Menschen, einschließlich mehrerer Beamter, starben.

McVeigh verstand die Gewalt in Waco als Weckruf, dass die Bundesbehörden nur mit Gewalt davon abgehalten werden könnten, »das amerikanische Volk auszulöschen«. In einem Interview aus der Haft sagte er: »Oklahoma war ein Gegenangriff nach denselben Einsatzregeln, die der Aggressor, die Regierung, festgelegt hat. Waco begann diesen Krieg. Ich dachte, Oklahoma würde ihn beenden.« McVeigh hatte sich die Belagerung von Waco mit eigenen Augen angesehen. Mit militärischer Präzision bereitete er daraufhin mit Nichols und anderen den »Gegenangriff« vor.

Monatelang kundschafteten sie ein geeignetes Ziel aus und beschafften sich das Material für den Sprengstoff. Es musste sich um einen spektakulären Angriff auf ein Gebäude mit Mitarbeitern der verhassten Regierung handeln. Die Wahl fiel auf das neunstöckige, großräumig verglaste Gebäude in Oklahoma. Denn es beherbergte das Büro eines Bundesrichters und 14 weitere Institutionen der Bundesbehörden, und es versprach wegen seiner weiträumigen Verglasung eine maximale Schadenswirkung.

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