Intensivkurse gegen Psychoterror im Klassenraum

Die Freie Universität will in viertätigen Schulungen LehrerInnen für das Thema Mobbing sensibilisieren. Die ersten 100 Pädagogen haben jetzt ihren Abschluss gemacht

Fast eine Million SchülerInnen sind bundesweit regelmäßig Opfer oder Täter, wenn es um Mobbing geht. In Berlin wurden jetzt 100 Lehrer zu Anti-Gewalt-Trainern ausgebildet.

Der Fall ist krass. Das muss auch die Lehrerin zugeben, die ihren und den Namen ihrer Schule nicht in der Zeitung lesen will. Dabei könnte er an jeder Schule in Berlin passieren, egal, ob Gymnasium, Sekundarschule oder Förderschule. Ein Junge wird von seinen Klassenkameraden gezwungen, sich untenrum komplett auszuziehen, die Mitschüler machen Fotos und schicken sie per Handy an die halbe Schule.

Solch eine extreme Art des Mobbings komme an der Schule äußerst selten vor, sagt die Lehrerin. Häufiger seien Ausgrenzung aus Gruppen, Gewaltandrohung oder das Ausnutzen von vermeintlich schwächeren Schülern, die zum Beispiel immer wieder nach Geld gefragt würden. »Solche extremen Erfahrungen können die Entwicklung einer Persönlichkeit bis ins Erwachsenenalter prägen«, sagt Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin, an der das Projekt »Fairplayer Manual« entwickelt wurde. In dem Programm werden Lehrer zum Thema Mobbing intensiv geschult und zu sogenannten Multiplikatoren ausgebildet. Vier Tage lernen sie in einem Seminar, wie sie ihre Klassen für einen respektvollen Umgang miteinander sensibilisieren. In 15 bis 17 Doppelstunden sollen die SchülerInnen u. a. in Rollenspielen lernen, wie Opfer und Täter fühlen, die eigenen Emotionen zu benennen und die Grenzen zwischen Recht und Unrecht zu erkennen. »Den meisten Kindern, die andere mobben, fehlt diese Unterscheidungsfähigkeit komplett«, sagt Charlene Krüger, Lehrerin an der Max Beckmann-Oberschule in Reinickendorf. Hinzu komme die völlige Empathielosigkeit aufseiten der Täter. Sie hat kürzlich als eine von inzwischen 100 LehrerInnen an der Ausbildung teilgenommen und mit ihrer 7. Klasse nach dem Manual (engl. Leitfaden) gearbeitet. Insgesamt sind 35 Schulen in Berlin an dem Projekt beteiligt, Tausende Schüler sollen so in diesem Jahr noch erreicht werden. Das »Fairplayer Manual« wird mit 150 000 Euro komplett von der Deutschen Bahn Stiftung getragen. Im Fokus stehen besonders die Klassen sieben und acht. »In dem Alter sind die Jugendlichen besonders anfällig, haben oft selbst schon Erfahrungen mit Mobbing gemacht«, sagt Scheithauer. Zehn bis zwölf Prozent aller Schüler sind bundesweit regelmäßig Opfer oder Täter, das heißt, dass insgesamt circa eine Million SchülerInnen mit dem Thema Mobbing konfrontiert sind - und das jede Woche.

Wie hoch die Zahl der Mobbingfälle in Berlin ist, lässt sich nicht beziffern. Viele Fälle sind so perfide, dass sie nicht bekannt werden und nur wenige Opfer sind bereit, über die Drangsalierungen zu sprechen. Die Senatsbildungsverwaltung hat in den letzten Schuljahren zwischen 20 und 30 Fälle registriert. Einzelne Bezirke stechen dabei nicht hervor, das Thema existiert an jedem Schultyp.

Die Berliner Schulen können unabhängig von einzelnen Programmen und Projekttagen auf einen Notfallplan des Senats zurückgreifen, ein Nachschlagewerk, das Hilfesysteme auflistet und Handlungsanweisungen gibt. Außerdem gibt es an einigen Schulen sogenannte Krisenteams.

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