Wenn es wehtut

Das geplante »Tarifeinheitsgesetz« ruft weiter scharfe Kritik hervor

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum Juli könnte das Gesetz, das Spartengewerkschaften als existenzbedrohend ansehen, in Kraft treten. Die Kritiker formieren sich.

»Freie Gewerkschaften oder staatlicher Einheitszwang?« Für den Marburger Bund (MB) der Klinikärzte, den Deutschen Journalistenverband (DJV) und die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) ist das ein existenzielles Thema, seit das »Tarifeinheitsgesetz« aus dem Hause der Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) droht. Am Donnerstag bekräftigten die Spartengewerkschaften auf einem Hearing ihre Kritik: Das Gesetz greife nicht nur erheblich in Grundrechte ein, sondern werde auch der erfolgreichen Praxis der Tarifautonomie nicht gerecht, sagte Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes (dbb), dem diese Organisationen angehören.

Das Gesetz will konkurrierende Tarifverträge in einem Betrieb ausschließen, gelten soll nur der Abschluss der jeweiligen Mehrheitsgewerkschaft. Betroffen wären neben MB, VC und DJV auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sowie die Gewerkschaften der Flugsicherung und Flugbegleiter, GdF und UFO. Die zweite und dritte Lesung des Entwurfs im Bundestag mit anschließender Abstimmung ist für den 22. Mai geplant, zum Juli könnte es in Kraft treten.

Unterstützt wird das Vorhaben von den Unternehmerverbänden und der DGB-Spitze. Dabei sind sich die DGB-Gewerkschaften nicht einig: Die Erziehungsgewerkschaft GEW, ver.di und die Nahrungs- und Gastronomiegewerkschaft NGG beteiligen sich an Protestaktionen, während die IG Metall und die Chemiegewerkschaft IG BCE dafür werben.

Roland Wolf, Recht- und Tarifexperte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitergeberverbände (BDA), verteidigte den Entwurf. Tarifverträge hätten eine »Befriedungs- und Ordnungsfunktion«. Daher sei ein Mehrheitsprinzip im Tarifrecht angesichts großer Erzwingungsmacht kleiner Berufsgewerkschaften nicht zu beanstanden.

Dem widersprach vehement Matthias Jacobs, Professor für Bürgerliches und Arbeitsrecht an der Hambuger Bucerius Law School. Der Entwurf sei »glasklar verfassungswidrig und handwerklich schlecht gemacht«. Das im Artikel 9, Absatz 3 der Verfassung postulierte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit kenne keinen Mehrheitsvorbehalt. Gewerkschaften seien ihren Mitgliedern verpflichtet, nicht einem Betrieb oder der Allgemeinheit. Tarifpluralität sei längst »gelebte Rechtspraxis in vielen Betrieben« und habe die Tarifautonomie nicht gestärkt. Das Gesetz drohe auch, weniger einer Befriedung zu dienen denn als »Brandbeschleuniger« zu wirken: Es zwinge die Kleinen, besonders aggressiv Mitglieder zu werben und in weitere Organisationsbereiche vorzustoßen, um ihre Tarifmacht zu wahren. Zudem sei der Begriff »Betrieb« nicht eindeutig definiert, was der Willkür Tür und Tor öffne. Unternehmen könnten versucht sein, Einheiten zusammenzufassen oder auch aufzuspalten, um ihnen genehme Gewerkschaftsstrukturen zu befördern. Streiks wie die der Piloten oder Lokführer seien legitim - denn »Grundrechte müssen sich dann bewähren, wenn es wehtut«.

Da CDU, CSU und SPD trotz Einladung keine Vertreter entsandt hatten, verlief die Podiumsdiskussion ohne Kontroversen. Einmütig wandten sich die gewerkschaftspolitischen Sprecherinnen der LINKEN und Grünen, Beate Müller-Gemmecke und Jutta Krellmann, gegen das Gesetz. Krellmann forderte die Regierung auf, stattdessen lieber Regularien auf den Weg zu bringen, die die Tarifflucht durch Outsourcing unterbinden. Dies sei die eigentliche Gefahr für die Tarifautonomie.

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