Wo der Papst recht hat

Zu langsam, zu zögerlich, zu wenig ambitioniert: Zum Stand der Europäischen Jugendbeschäftigungsinitiative

  • Frank Puskarev
  • Lesedauer: 8 Min.

Europa steht am Scheideweg. Durch Banken- und Finanzkrise, verfehlte Wirtschafts- wie Sozialpolitik ist mittlerweile jeder vierte Jugendliche unter 25 arbeitslos, mehr als fünf Millionen junge Europäer sind ohne Job. Dabei sind die Chancen für junge Menschen in Europa auch noch extrem ungleich verteilt. Während in Deutschland nur rund 7,8 Prozent der Jugendlichen ohne Job oder Ausbildungsplatz sind, muss in Spanien und Griechenland jeder zweite Jugendliche um seine Zukunft bangen.

Diese Situation ist nicht neu, seit 2008 steigen die Quoten stetig, ohne dass die Mitgliedstaaten oder die EU sich in der Lage sähen, hier wirksam einzugreifen. Zunächst rettete man die Verursacher der Krise mit unvorstellbaren dreistelligen Milliardenbeträgen, ganze Volkswirtschaften wurden an den Abgrund gedrängt und mussten unter strengen Austeritäts-Auflagen Kredite zur Rettung von ins geratenen Banken aufnehmen. Gerettet wurden dabei vor allem jene, die mit dubiosen Finanzprodukten jongliert, fehlinvestiert und sich an den Finanzmärkten verspekuliert haben.

Der Autor
Frank Puskarev, Jahrgang 1976, 
arbeitet für die Linksfraktion im 
Europäischen Parlament und ist Mitglied des Personalrats der 
AssistentInnen des Europäischen Parlaments. Er hat den Prozess der Fusion von Wahlalternative und Linkspartei begleitet und ist heute unter anderem gewerkschaftlich 
und im Vorstand des Forums 
Demokratischer Sozialismus (fds) engagiert.  

Erst 2012 sah sich die Europäische Kommission zum Handeln genötigt. Selbst neoliberale Hardliner mussten eingestehen, dass die Situation in den Mitgliedstaaten, insbesondere in den von der Krise besonders hart getroffenen Ländern des Südens, zu sozialen Konflikten führt, die die Europäische Union als Ganzes gefährden können.

Mit einem Paket zur Jugendbeschäftigung sollte das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit angegangen werden. Deren Bestandteile waren gut gemeint: Mit einer Jugendgarantie wollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jeder Jugendliche bis 25 Jahre innerhalb vier Monaten nach dem Ende der Ausbildung oder des Beginns der Arbeitslosigkeit ein Angebot für eine »qualitativ hochwertige Beschäftigung, Ausbildung, Praktikum oder eine Weiterbildungsmaßnahme« erhält.

Um dies zu beschleunigen, wurde mit der Jugendbeschäftigungsinitiative konkretisiert, dass Regionen mit mehr als 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit vorrangig geholfen werden soll. Dafür wurden sechs Milliarden Euro für den Förderzeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung gestellt, drei Milliarden aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und weitere drei in einer eigenen Haushaltlinie, also frisches Geld. Ein Qualitätsrahmen für Praktika soll den teilweise unwürdigen Bedingungen entgegen treten, mit verbesserter Mobilität und einer Ausbildungsallianz Angebot und Nachfrage besser miteinander verbunden werden.

Die Jugendgarantie ist dabei dezentral angelegt. Heißt, alle Mitgliedstaaten entwickeln individuell auf ihre Situation zugeschnittene Maßnahmenpakete, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Nach einem vorher festgelegten Schlüssel können berechtigte Mitgliedstaaten (nicht berechtigt sind Österreich, Danemark, Estland, Finnland, Luxemburg, Malta, Niederlande und Deutschland) für jede Maßnahme Förderung aus den zusätzlich bereitgestellten Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) beantragen. Die Erfolge der Maßnahmen sollen jährlich überprüft und mit dem Indikatorrahmen zur Überwachung der Jugendgarantie abgeglichen werden. Aktuell sind demnach aus allen berechtigten 20 Mitgliedstaaten Anträge zur Förderung von Programmen bei der Kommission eingegangen, insgesamt 37 (weil in einigen Mitgliedsstaaten mehrere regionale Programme beantragt werden). Davon wurden 31 genehmigt, der Rest soll bis Sommer 2015 genehmigt sein.

Die von den Mitgliedstaaten beantragten Maßnahmen sind äußerst vielfältig. Sie reichen von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und Einrichtung von Anlaufstellen über Unterstützung von Schulen und Arbeitsämtern, Bereitstellung von Gründungshilfen bis hin zu Unterstützung von Jugendlichen, die in andere Regionen zur Arbeitsaufnahme ziehen wollen respektive müssen.

Mit der Jugendbeschäftigungsinitiative gefördert werden können und sollen junge Menschen unter 25 Jahren unter der Voraussetzung, dass diese in förderungsberechtigten Regionen wohnen, keine Arbeit haben und keine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren (sogenannte NEET). Dabei ist die Förderung unabhängig davon, ob diese jungen Menschen arbeitslos gemeldet sind oder nicht. Die berechtigten Mitgliedstaaten können die Förderung auf alle Menschen unter 30 Jahren ausweiten.

Viel erreicht wurde bislang nicht. Die Jugendgarantie kam und kommt nur schleppend voran, weil vor allem jene Mitgliedstaaten, die unter harten Austeritätsprogrammen standen, gar nicht in der Lage waren, irgendwelche Angebote zu unterbreiten. Schließlich entstehen weder durch »proaktive Maßnahmen« wie Hilfe bei der Stellensuche oder Weiterbildungsförderung noch durch »Strukturreformen« neue Jobs. Andere Vorschläge der Kommission ließen länger auf sich warten.

Erst im April 2014 konnte die Jugendgarantie beschlossen werden, im März 2014 der - leider nur freiwillige - Qualitätsrahmen für Praktika. Schon Ende 2014 allerdings bemerkte die Kommission, dass ihre bereit gestellten Gelder kaum abgerufen werden, da viele der Mitgliedstaaten die Ko-Finanzierung der Maßnahmen nicht leisten konnten. Nur ein Prozent der Gelder war als Vorfinanzierung vorgesehen, zu wenig für die im engen Austeritätskorsett eingeschnürten und daher meist klammen EU-Mitglieder. Die nun neue EU-Kommission muss also erneut nachbessern, derzeit wird in Rat und Parlament ein Gesetzesvorschlag zur Anhebung der Vorfinanzierungsquote auf 70 Prozent debattiert.

Weiterer Mühlstein am Hals der Initiative ist die geringe Mittelausstattung. Laut der Kommission soll sich die Gesamtmittelausstattung - und hier rechnet diese schon großzügig nationale Ko-Finanzierungen ein, die bei der derzeitigen Haushaltslage alles andere als gesichert gelten - auf ungefähr 16,7 Milliarden Euro im gesamten Förderzeitraum belaufen. Laut der Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) allerdings dürften sich die die Kosten zur Umsetzung der Initiative auf 21 Milliarden Euro summieren - und zwar pro Jahr! Wie die Mitgliedstaaten, insbesondere jene mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit aufgrund extrem schlechter Wirtschaftslage, diese zusätzlichen Mittel aufbringen sollen, hat die Kommission leider nicht erläutert.

Auch die Prüfer des Europäischen Rechnungshofes stellen in einem Sonderbericht kritische Fragen. Sie gelangen zwar zu dem Schluss, dass die Kommission die Mitgliedstaaten bei der Einrichtung ihrer Jugendgarantie-Systeme rechtzeitig und angemessen unterstützt hat. Sie meinen allerdings auch, dass die Kommission keine Folgenabschätzung zur Ermittlung der voraussichtlichen Kosten und Vorteile erstellt habe, obwohl dies bei allen großen Kommissionsinitiativen Standardverfahren sei. Folglich gäbe es keine Informationen zu den potenziellen Gesamtkosten der EU-weiten Umsetzung der Jugendgarantie, so dass ein Risiko bestehe, dass die Gesamtmittelausstattung womöglich nicht angemessen ist. In Verbindung mit der Tatsache, dass eine klare Definition für eine »hochwertige« Arbeitsstelle fehlt, bestünde zudem ein großes Risiko, dass die Jugendgarantie-Systeme in der EU womöglich nicht wirksam und nicht einheitlich umgesetzt werden kann, so die Wächter über die Finanzen der EU.

Der Qualitätsrahmen für Praktika hat ebenfalls sehr kritische Reaktionen der Sozialpartner erfahren. Das Kernstück des Qualitätsrahmens für Praktika ist die schriftliche Praktikumsvereinbarung, in der die Bildungsziele, angemessene Arbeitsbedingungen, die Rechte und Pflichten sowie eine angemessene Dauer für das jeweilige Praktikum niedergelegt sind. Damit soll in Zukunft garantiert werden, dass Praktikanten nicht mehr als billige oder gar unbezahlte Arbeitskräfte eingesetzt werden können. Kritisiert wird, dass die - unverbindliche - Empfehlung des Rates nicht für Praktika gilt, die Bestandteil von Lehrplänen der formalen Bildung oder der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind. Auch Praktika, deren Inhalt gemäß nationalen Rechtsvorschriften geregelt ist und deren Absolvierung eine zwingende Voraussetzung für die Ausübung eines bestimmten Berufs sind (zum Beispiel Arzt, Architekt usw.), werden vom Qualitätsrahmen ausgeschlossen, bemängelte zum Beispiel die Arbeiterkammer Österreichs.

Auch die Europäische Ausbildungsallianz ist noch nicht über den Status einer respektive vieler Willensbekundungen aus den Mitgliedstaaten hinaus. Zwar haben Rat und Kommission sowie die wichtigsten Sozialpartner ihre Entschlossenheit zur Zusammenarbeit bekundet, wurden verschiedene bilaterale Abkommen getroffen - eine wirksame Umsetzung lässt allerdings noch auf sich warten. Immerhin haben 21 EU-Mitgliedstaaten Zusagen zur Verbesserung von Qualität, Umfang und Angebot der Ausbildung gemacht.

Ein derzeit in der Beratung befindlicher wichtiger Baustein zur besseren Zusammenführung von Stellenangeboten und Stellensuchenden über Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg ist sicherlich die schon zu Beginn 2014 von der Kommission vorgeschlagene Reform des Europäischen Job-Netzwerkes EURES, was den Nukleus einer europäischen Arbeitsagentur bieten könnte und müsste. Ob Europaparlament und Mitgliedstaaten sich hier ob nationaler Eigeninteressen auf einen großen Wurf einigen können, bleibt abzuwarten. So hat etwa Großbritannien bereits angekündigt, gegen den Austausch von Stellen über dieses Netzwerk zu votieren, weil es seinen nationalen Arbeitsmarkt vor allzu vielen EU-Beschäftigten schützen zu müssen glaubt. Dennoch liegt in EURES vor allem eine Chance. Denn insbesondere die Regionen, die über unbesetzte Stellen und Ausbildungsplätze verfügen oder unter besonders hoher Arbeitslosigkeit leiden, könnten hier wirksam Angebot und Nachfrage zusammenführen.

Schritte in die richtige Richtung werden also unternommen, bei weitem aber zu zögerlich, zu langsam, zu wenig ambitioniert. Man möchte an die mit Standing Ovations bedachte Rede von Papst Franziskus im Europäischen Parlament erinnern, in der er unter anderem sagte:

»Die Erziehung darf sich nicht darauf beschränken, eine Ansammlung von technischen Kenntnissen zu vermitteln, sondern muss den äußerst komplexen Wachstumsprozess des Menschen in seiner Ganzheit fördern. Die Jugendlichen von heute verlangen, eine angemessene und vollständige Ausbildung erhalten zu können, um mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen und nicht mit Enttäuschung. […] Es ist Zeit, die Beschäftigungspolitik zu fördern, vor allem aber ist es notwendig, der Arbeit wieder Würde zu verleihen, indem man auch angemessene Bedingungen für ihre Ausübung gewährleistet. Das schließt einerseits ein, neue Methoden zu finden, um die Flexibilität des Marktes mit der Notwendigkeit von Stabilität und Sicherheit der Arbeitsperspektiven zu verbinden, die für die menschliche Entwicklung der Arbeiter unerlässlich sind. Andererseits bedeutet es, einen angemessenen sozialen Kontext zu begünstigen, der nicht auf die Ausbeutung der Menschen ausgerichtet ist, sondern durch die Arbeit die Möglichkeit garantiert, eine Familie aufzubauen und die Kinder zu erziehen.«

Dem ist wenig hinzuzufügen. Vor diesem Anspruch müssen die europäischen Institutionen wohl noch eine kräftige Schippe drauflegen. Sonst droht eine ganze Generation verloren zu gehen.

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