Niveau ohne Krimi

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Padautz! Na das war doch mal eine Sensationsmeldung, die vorige Woche von jahrelang im Untergrund lebenden Schläfern über geheime Tunnelsysteme mehrfach verschlüsselt durchgesteckt wurde: Beim »größten TV-Experiment aller Zeiten«, wie Sat1 zum Start fantasierte, wird der streng wissenschaftliche Feldversuch »Newtopia« manipuliert! Das legen geheime Bilder über vermeintliche Regieabsprachen des streng feuilletonistischen TV-Intellektuellen John de Mol nahe, was fast so abwegig klingt, als würde jemand bei Scripted Reality Drehbuch schreiben oder die Werbung gelegentlich übertreiben.

Absurd.

So wie die Quoten des »Tatorts«. Dessen Standort Nürnberg hat es zur Premiere auf zwölf Millionen Zuschauer gebracht. Na, wenn Markus Söder da mal nicht per bayrischem Zwangseinschaltdekret nachgeholfen hat. Der Franke hatte dem Vernehmen nach schon vor der Entscheidung zum zweiten BR-Team gedroht, so lange die Luft anzuhalten (oder jede Entscheidung aller ARD-Gremien zu blockieren), bis seine Heimat ein Heimteam kriegt.

Doch des Einen Freud ist des Anderen Leid: Kaum sind die hochdeutschen Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs im dialektfreudigen Umfeld auf Mörderjagd, treten Martin Wuttke und Simone Thomalla von der Leipziger Sonntagsbühne ab, was zumindest im Fall des Fleisch gewordenen Schmollmunds die beste Nachricht des jungen Fernsehjahrs ist. Eine nicht so gute ist hingegen, dass das ZDF dem begabten Ronald Zehrfeld mal wieder eine Bomberjacke übergestreift hat. In seinem ersten Fall als Privatdetektiv »Dengler« umschifft er - gemeinsam mit Birgit Minichmayr als Hackerin - im Clinch mit der Pharmaindustrie jedoch die meisten Klischeefallen spielend.

Dennoch sehnen sich viele Zuschauer nicht nur nach Krimi mit mehr Niveau, sondern nach Niveau ohne Krimi. Gregor Schnitzlers leichtes Melodram »Mein Sohn Helen« über einen 17-Jährigen, der vom Auslandsaufenthalt als Frau zurückkehrt, hätte da alle Chancen gehabt - trotz (oder wegen) Heino Ferch als Vater. Auch das ist aber eher bieder geraten als relevant. Degeto eben, Freitagabend im Ersten, so richtig gut wird das da nie.

Dann muss man eben zu Arte wechseln, wo der Freitag zur Primetime noch Platz für die charmante Komödie »Global Player - wo wir sind, isch vorne« lässt. Dutschke-Darsteller Christoph Bach verlagert das Business seines kriselnden Mittelständlers darin nach Fernost und zwar sehr ordentlich.

Das trifft auch auf den fabelhaften Mehrteiler »Broadchurch« zu, der auch einen Mord aufklärt, aber zeigt, wie überlegen angloamerikanische Formate den deutschen selbst auf unserem Fachgebiet sind. Vier Sonntage ab 22 Uhr zeigt das ZDF, wie sich die titelgebende Kleinstadt mit glaubhaften Figuren auf die Suche nach einem Kindermörder macht. Die Darsteller dürfen aussehen wie Menschen statt Models, ihre Dialoge sind authentisch, die Handlungsstränge schlüssig. Ohne die grotesk miese Synchronisation wäre »Broadchurch« schon jetzt ein Kandidat fürs Highlight 2015.

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