Die Pflicht der Kapitäne

Handelschiffe retten im Mittelmeer Zehntausende

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein portugiesischer Frachter, der vergangene Sonntagnacht zuerst bei dem Flüchtlingsboot ankam, auf dem wohl 950 Migranten zusammengepfercht waren, die zum größten Teil ertrunken sind. Es lief so ab, wie es im Mittelmeer seit Monaten fast immer geschieht: Ein Flüchtlingsboot setzt einen SOS-Ruf ab, der von der Küstenwache aufgenommen wird. Die lokalisiert dann anhand von Karten Schiffe, die sich in der Nähe befinden. Dabei ist es egal, ob es sich um große Frachter, kleine Fischerboote oder Marineeinheiten handelt. Das Seerecht schreibt seit Jahrhunderten vor, dass die erste Pflicht jedes Kapitäns ist, Menschenleben zu retten. In diesem Fall war zuerst der portugiesische Frachter am Ort des Geschehens. Es sieht so aus, als wären die 950 Passagiere des Flüchtlingsschiffes, das wohl nur 25 Meter lang war, beim Anblick der vermeintlichen Rettung alle auf eine Seite geeilt und hätten es auf diese Weise zum Kentern gebracht. Es folgte die Katastrophe und den Besatzungen des Handelsschiffs und des Bootes der Küstenwache, das kurz darauf eintraf, blieb nichts anderes mehr, als 28 Überlebende und einige Dutzend Tote aus dem kalten Mittelmeer zu ziehen.

Keiner der Verantwortlichen der internationalen Handelsschifffahrt stellt die Pflicht infrage, auf Hilferufe sofort zu reagieren. Aber im Mittelmeer haben diese improvisierten Rettungsaktionen so stark zugenommen, dass sie mittlerweile ein Problem darstellen. Allein 2014 haben Handelsschiffe 2273 Rettungsaktionen durchgeführt und etwa 40 000 Menschen das Leben gerettet. Auf einer Sitzung in London erklärte Peter Hinchliffe, Generalsekretär des Reederverbandes International Chamber of Shipping, dass für die Handelsmarine in diesem Zusammenhang zahlreiche Probleme auftreten: Die Frachter seien in keiner Weise darauf vorbereitet, manchmal auch mehrere Hundert Schiffbrüchige auf einmal aufzunehmen. Sie haben weder genügend Lebensmittel an Bord, noch habe die Besatzung die medizinischen Kenntnisse, die notwendig sind, um den Flüchtlingen auch wirklich gerecht zu werden. Dazu kommt auch der materielle Verlust: »Jedes Mal«, so Hinchliffe, »wenn wir von unserer ursprünglichen Route abweichen müssen, um Schiffen in Seenot zu helfen, verliert der Reeder zwischen 50 000 und 80 000 Dollar«.

Ein besonderes Problem stellt sich für die privaten Rettungs- und Löschboote, die laut Gesetz zu jeder Bohrinsel gehören. Zwischen Libyen und Italien gibt es relativ viele davon. Wenn ein Hilferuf von der Küstenwache eintrifft, wissen deren Kapitäne oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. Ihre Position aufgeben und den Migranten helfen oder bei der Bohrinsel bleiben, um zur Stelle zu sein, falls dort etwas geschehen sollte? Letztlich entscheidet dann meistens der Inhaber der Bohrinsel. »Aber ich«, so sagt der Kapitän eines Löschschiffes, der namentlich nicht genannt werden möchte, »bin jedes Mal in einem furchtbaren Dilemma. Soll ich auf meinen Arbeitgeber hören und bleiben oder das tun, was jeder Seemann einfach machen muss, nämlich Hilfe leisten? In beiden Fällen mache ich mich strafbar.«

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