nd-aktuell.de / 22.04.2015 / Politik

Amnesty: Zehn-Punkte-Plan ist unzureichend

Demonstranten fordern vor Kanzleramt andere Flüchtlingspolitik / Innenminister denken laut über militärische Einsätze gegen Schleuser nach/ 30 000 tote Flüchtlinge im Jahr 2015 erwartet/ EU-Kommission fordert Lastenverteilung bei Versorgung

Update 15.30 Uhr: Vor dem EU-Sondergipfel zum Flüchtlingsdrama im Mittelmeer am Donnerstag hat Amnesty International[1] den Aufbau einer umfassenden Seenotrettung angemahnt. Die Politik dürfe keine weitere Zeit verstreichen lassen, forderte die Menschenrechtsorganisation am Mittwoch in Berlin. »Nur so kann der vorhersehbare Tod unzähliger Menschen verhindert werden«, erklärte die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Selmin Caliskan.

Sollten sich die Opferzahlen des jüngsten Unglücks bestätigen, dann hätten in diesem Jahr bereits mindestens 1.700 Menschen ihr Leben auf der Flucht über das Mittelmeer verloren. Die Zahlen zerstörten auch den Mythos, die Ende 2014 eingestellte italienische Rettungsaktion »Mare Nostrum« sei ein Magnet für Flüchtlinge gewesen, betonte Caliskan. »Seit dem Ende der Operation haben deutlich mehr Migranten und Flüchtlinge versucht, Europa zu erreichen, nicht weniger.«

Handelsschiffe, die versuchten, Menschen aus dem Meer zu retten, seien aber dafür nicht gewappnet und ausgerüstet. Italien solle die humanitäre Operation wieder aufnehmen, bis eine umfassende EU-Seenotrettung stehe. »Es war ein zynisches Kalkül zu glauben, Nichtstun würde verzweifelte Menschen davon abhalten, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen«, sagte Caliskan. Die EU könne schnell handeln, wenn der politische Wille da sei. Europa müsse die Chance dazu auf dem Sondergipfel wahrnehmen.

Update 11.30 Uhr: Mehrere Dutzend Aktivisten der Kampagnen-Organisation Campact haben vor Beginn der Kabinettssitzung im Berliner Kanzleramt für die Rettung von Flüchtlingen demonstriert. Mit Leichentüchern bedeckte »Flüchtlinge« legten sich am Mittwoch vor den Zaun, um an die mehr als 1100 Menschen zu erinnern, die in den letzten Tagen bei Fluchtaktionen im Mittelmeer umgekommen sind. Die Polizei sprach von rund 45 Demonstranten. »Die EU muss das Massensterben an ihren Außengrenzen beenden: Es braucht endlich legale und gefahrenfreie Fluchtwege für Schutzsuchende«, sagte Campact-Sprecherin Katharina Nocun. Campact organisiert nach eigenen Angaben Kampagnen unter anderem zu sozialer Gerechtigkeit.

Update 11.20 Uhr: Die Internationale Organisation für Migration (IOM) beziffert die Zahl der in diesem Jahr gestorbenen Bootsflüchtlinge im Mittelmeer auf mehr als 1.720. Falls der tödliche Trend anhalte, müsse für dieses Jahr mit mehr als 30.000 Toten gerechnet werden.

Update 10.55 Uhr: Jetzt werden diem ersten Stimmen laut, die nicht nur eine humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge fordetr, sondern auch den Einsatz des Militärs. So berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung[2], dass Innenminister Thomas de Maizière einen Einsatz der Bundeswehr für dankbar hält. So könnten, seines Erachtens, Marinekräfte Boote von Schleusern schon an der nordafrikanischen Grenze zerstören, um so eine Überfahrt zu unterbinden.

Einen Schritt weiter geht da der italienische Inneminister. Er fordert die Bombardierung der Boote in den Ausgangshäfen. Diese unmenschliche Forderung, wird nun gerügt, Parlamentsprecherin Laura Boldrini sieht darin ganz deutlich einen Verstoß gegen die Menschenrechte.

Südeuropa fordert Hilfe wegen Flüchtlingen

Berlin. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen hat die EU-Kommission eine faire Lastenverteilung bei der Gesundheitsversorgung der Migranten gefordert. Es gebe hier einen »Notfall«, dem schnell begegnet werden müsse, sagte der Gesundheitsbeauftragte der Europäischen Kommission, Ladislav Miko, am Dienstag bei einem Besuch in der lettischen Hauptstadt Riga. EU-Länder, die besonders stark mit der Flüchtlingskrise konfrontiert seien, wie Italien oder Spanien, seien nicht in der Lage, »hunderte Patienten an einem Tag« zu behandeln. Dies sei aber notwendig, wenn Bootsflüchtlinge einträfen, die unter Austrocknung und anderen Beschwerden litten, sagte Miko. Ein Teil der Flüchtlinge solle daher in Krankenhäuser in weniger stark betroffenen Ländern verlegt werden. Außerdem sollten Impfstoffe, Notfallausrüstung und logistische Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge bereitgestellt werden.

Laut Miko hat die EU-Kommission die Mittelmeeranrainer aufgefordert, ihren akuten Bedarf zur Versorgung der Flüchtlinge mitzuteilen. Am Dienstag fand ein Treffen des Gesundheitsausschusses der EU statt. Der lettische Gesundheitsminister Guntis Belevics, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sagte, Zypern habe Hilfe anderer EU-Mitgliedstaaten beim Transport von behandlungsbedürftigen Flüchtlingen gefordert. Zypern, Malta, Griechenland und andere südeuropäische Länder sprachen sich demnach für eine Beteiligung der anderen Mitglieder an den Kosten aus.

Allein seit Mitte vergangener Woche wurden rund 11.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Vergangenes Jahr waren in Italien insgesamt 170.000 Bootsflüchtlinge eingetroffen - schon jetzt ist absehbar, dass diese Zahl 2015 übertroffen wird. Die EU sieht sich derzeit unter starken Handlungsdruck, auf die steigenden Flüchtlingszahlen angemessen zu reagieren. Bei dem bislang tödlichsten Flüchtlingsunglück im Mittelmeer waren in der Nacht zu Sonntag etwa 800 Menschen ums Leben gekommen. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge ist die Zahl der Toten im Mittelmeer seit Jahresbeginn damit auf mehr als 1750 gestiegen. Im Vorjahreszeitraum gab es demnach 56 Opfer, die Zahl liegt also 2015 schon mehr als 30 Mal höher. Agenturen/nd

Links:

  1. https://www.amnesty.de/2015/4/22/eu-muss-fluechtlinge-im-mittelmeer-retten?destination=startseite
  2. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/was-koennte-die-marine-gegen-schlepper-leisten-13551132.html