Wenn Springer ruft

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

In einer fernen Vergangenheit des letzten Jahrzehnts machte sich eine wachsende Gruppe meist technikaffiner junger Leute auf den Weg, die Republik zu ändern: Was die Piratenpartei in ihren Anfangsjahren auszeichnete, war ihr unverstellter Blick auf eine Zukunft, die in der Digitalisierung und im technischen Fortschritt eine Chance auf die demokratische Gesellschaft von Unten sah, wo die aktuell viel diskutierte vierte industrielle Revolution keine bei vielen Linken verbreitete Angst, sondern Aufbruchstimmung hervorruft. In der Praxis hieß das für die Piraten: Der radikale Bruch mit dem Urheberrecht, einen Abbau von Schranken zur geistigen Selbstbeschränkung der Informationsgesellschaft aufgrund reiner Profitinteressen. Das Leistungsschutzrecht für Verlage? Ein Anachronismus aus Zeiten, wo das Internet tatsächlich noch Neuland war.

Dieser anfangs mit viel Idealismus streitenden Partei schloss sich 2009 Christopher Lauer an, der zwei Jahre später in das Berliner Abgeordnetenhaus einzog und sich auch jenseits der Hauptstadtblase einen Ruf als streitlustiger Querkopf erarbeitete. Bekanntlich sind die Piraten längst nur noch ein Schatten ihrer selbst, die Bewegung längst in den Niederungen der Kleinparteien verschwunden, weshalb es kaum verwundert, dass einige durch anfängliche Erfolgswellen in Parlamente gespülte Idealisten ihren geschäftsmäßigen Pragmatismus entdeckten.

Es überrascht nicht, wenn Weggefährten Lauers in dessen neuen Job beim Medienkonzern Axel Springer als »Leiter der strategischen Innovationen« einen Wechsel auf die »dunkle Seite der Macht« erkennen, wie Hannah Beitzer auf süddeutsche.de berichtet. In der Tat dürfte es dem 30-Jährigen schwerfallen, die aus seiner Zeit als Mitglied der Piraten vertretenden Positionen bei Springer umzusetzen, steht das Medienhaus einer Öffnung zur freien Wissensgesellschaft doch äußerst skeptisch gegenüber.

Der Journalist Mario Sixtus drückte es auf Twitter so aus: »Den @Schmidtlepp machen (Redensart): Genau so lange gegen alte Strukturen revoltieren, bis man ein Teil der alten Strukturen werden darf.« Der angesprochene Schmidtlepp (Lauers Twitter-Name) kündigte Sixtus daraufhin die digitale Freundschaft.

Seine Berliner Piratenfraktion, der Lauer auch nach seinem Parteiaustritt weiter angehört, wünschte ihm artig viel Glück: »Die @15Piraten gratulieren @Schmidtlepp (weiterhin Fraktionsmitglied!) zum neuen Job als ›Leiter Stategische Innovation‹ bei @axel_springer.« Auf faz.net erklärt Michael Hanfeld dagegen, Lauer war »die letzte Stimme der Vernunft« bei den Piraten und sein Engagement bei Springer sei Ausdruck seiner unabhängigen Position, die er sich bewahrt habe.

Der Ex-Pirat wiederum verfolgt die Debatte um seine Person mit jenem lausbubenhaften Humor, der ihn auch in Sitzungen des Abgeordnetenhauses von vielen Politikern unterscheidet: »Endlich gibt es Verschwörungstheorien zu mir«, twitterte Lauer am Mittwoch, als sein neue Stelle im Netz für Diskussionen sorgte.

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