Länga hänga

Live in Berlin: Attwenger

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn von einer »Maultrommel« und einer »steirischen Harmonika« die Rede ist, denken die meisten an gefleckte Kühe, Trachtenjanker und eine der Tradition verhaftete Volksmusik, nicht an einen wagemutigen Popentwurf aus Linz. Zumal da auch Linz nicht nach musikalischer Experimentierfreude klingt, sondern nach Torte und Hitler. Im Fall des nun seit 25 Jahren bestehenden, aus dem Oberösterreichischen stammenden Duos Attwenger jedoch dienen die oben genannten Instrumente als Mittel, um eine überaus moderne, zeitgemäße und eigensinnige Sorte Pop zu kreieren.

Die Band eignet sich zeit ihres Bestehens Stilelemente und Spielweisen aus Punk, HipHop, Dub und zeitgenössischer elektronisch erzeugter Tanzmusik an und verknüpft diese mit Mundarttexten. Allerdings ist das Ergebnis nicht - wie bei vielen dieser fürchterlichen, sogenannte Weltmusik mit Rockgitarren pimpenden Crossover-Bands - eine Art ungustiöser Mischmasch aus Kulturkarnevaleskem und 90er-Jahre-Funk-Rock, sondern etwas ganz und gar Anderes. Attwenger klingt kompakt, wie aus einem Guss, gegenwärtig. Die Homogenität und Unverwechselbarkeit des Attwenger-Sounds resultiert auch daraus, dass bei den beiden Musikern ein ernsthaftes Interesse an Formen und Techniken unterschiedlichster Popmusikentwürfe vorliegt.

Hier wird nichts verschmolzen oder verquickt, hier wird nicht gecrossovert, was vorher nicht zusammengehörte. Hier wird Eigenes erzeugt, mit modernstem Gerät, Samplingtechniken, Loops, aber genauso auch mit Ziehharmonika. Hört man die ersten Takte ihres neuen, vor kurzem erschienenen Albums »Spot«, auf dem man - ganz nach Art der Ramones - auf einer Länge von 40 Minuten 23 Stücke untergebracht hat, assoziiert man jedenfalls nicht zuerst Oberösterreich.

Textlich veralbert man den Lebensentwurf des Spießbürgers (»Einfamilienhaus, Einfamilienhaus, i hoid di ned aus«) oder thematisiert Begleiterscheinungen des Kapitalismus: Einsamkeit, Ausbeutung, Überwachung (»Sie schaun da ins Mäu eini mit ana Kamara so groß wia a Staubkeandl«). Auch »Na-na-na-na« ist hier nicht nur leeres Poprefrain-Blabla, sondern heißt eben auch »Nein-nein-nein-nein«. Doppelbödig ist das, verspielt, ohne dabei infantil zu sein. Wortspiele, zu denen die Band zuweilen neigt, sind nie prätentiös, erschöpfen sich nicht in Zwangslustigkeit oder Albernheit, sondern sind ganz dem Klangbild und Groove untergeordnet (so etwa in dem bereits älteren und unbedingt hörenswerten Disco-House-Track »Hänger«: »Die Plott’n is’ hängabliem / drum samma länga bliem / und hobm uns a weng mit Hängableibm / länga die Zeit vertriebm / je länga wir do hänga / bleibm mia no a weng länga / a weng a länga hängableibm / länga bleibma hänga / a weng a länga bleibma hänga« etc.). Der Text, der nur nach erstem oberflächlichen Hören wie dadaistisches Gefasel anmutet, thematisiert gleichzeitig die Idee von Disco (Hedonismus, Rausch) und folgt auch formal, wie Disco und House, der Struktur der rituellen Wiederholung und dem Prinzip der Eingängigkeit.

Konzert: Ballhaus Berlin, Chausseestr. 102, Berlin-Mitte, 24.4., 20 Uhr

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