nd-aktuell.de / 12.09.2006 / Kultur
Zwei Faustbreit unterm Gürtel
Stefan Maelcks geschmackloser Roman »Pop essen Mauer auf«
Martin Hatzius
Das Spiel mit Verschwörungstheorien ist reizvoll, gerade für Literaten. Solange man sich an einigen Eckpfeilern orientiert, die der Realität entlehnt und von jedem nachprüfbar sind, ist der Fantasie eines Autors kaum eine Grenze gesetzt. In seinem vorgeblich satirischen Roman »Pop essen Mauer auf« entwickelt Stefan Maelck aus der absurden Idee, die Rock- und Popmusik sei zur Bekämpfung des Klassenfeindes von Stasileuten in einem unterirdischen Labor in der DDR entwickelt worden, eine in sich schlüssige Geschichte, deren abenteuerlichem Verlauf man mit Freude folgen könnte. Wenn sie einem nicht durch die unglaubliche Arroganz des Autors verleidet werden würde, mit der er seine Figuren - zum großen Teil reale Personen des öffentlichen Lebens - beleidigt und diffamiert.
Bücher wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Verletzung von Personenrechten verbieten oder verändern zu lassen, ist eine Unsitte unserer Zeit. Dass noch niemand juristisch gegen Stefan Maelcks geschmacklose Passagen vorgegangen ist, zeugt von der Größe der darin angegriffenen, noch lebenden Personen. Oder davon, dass sie dieses Buch noch nicht wahrgenommen haben. Dass der Song »No Bomb« der Ostrockband Berluc (die man weiß Gott nicht mögen muss) für den Erzähler ein »strunzdummer, teutonischer Akt der Staatsanbiederung« ist, fällt wohl unter die Meinungsfreiheit. Dass Maelck den Sänger dieser Band aber als einen Menschen auftreten lässt, »den man optisch schon roch, bevor er einem dann wirklich in die Nase kroch«, empfinde ich als ehrenrührig und grob beleidigend. Weiter heißt es über den Sänger: »Kommunikation war offensichtlich nicht seine Stärke, genau so wenig wie Duschen, Zähneputzen, Wäsche waschen, sich ein Leben besorgen.«
Was hat jemand erlitten, der es nötig hat, solche Sätze zu schreiben? Den Erzähler Ludger Bauer (wie sein Erfinder Stefan Maelck 1963 in Wismar geboren) hat offenbar seine Armeezeit besonders gedemütigt. Die NVA war für ihn »ein Arbeitgeber, der jeden nahm, der in der Lage war, sich im Dunkeln an den Arsch zu fassen; jeden, der bereit war, sich und andere zu erniedrigen und dadurch die Evolution - so weit es ging - zurückzutreiben«.
Dass die Erfahrungen eines Wehrdienstes (ganz gleich in welcher Armee) in Hass umschlagen, kann ich verstehen. Die Geschichten, die Maelck den Trägern des Systems unterjubelt, übersteigen in ihrer krankhaften Fantastik aber jegliche Grenze guten Geschmacks. Ja, Satire darf alles und die literarische Freiheit soll grenzenlos sein. Auf die Freiheit, lesen zu dürfen, dass Erich und Margot Honecker ihre gemeinsame Tochter »nach einer Ost-Margarine "Sonja" genannt« haben, weil Honecker Margot »mit dieser Margarine bei den gemeinsamen Sexspielen im Frauenruheraum der Volkskammer ... des Öfteren eingerieben« hat, hätte ich allerdings lieber verzichtet. Honecker ist bei Maelck nicht nur ein »perverser Dachdecker«, »dümmer als drei Meter Feldweg«, sondern vor allem ein »schwanzgesteuerter« Suffkopp mit Hang zur Selbstverstümmelung. Margot Feist indes »vögelt« mit Wolf Biermann, Hannes Wader, Stefan Diestelmann, Hansi Bibl und vielen anderen Kollegen. Am Ende »erblaut« die biedere Nymphomanin aber nicht aus Gram über Biermanns Ausbürgerung, sondern, weil am anderen Ende der Welt die Frau (und Honecker-Geliebte) stirbt, der Margot ihre Hüfte schenken musste: Elvira Prassler, ursprünglich Stasi-Spionin und Margarine-Opfer mit Sonnenblumenkernallergie, war nach ihrer Geschlechtsumwandlung als Elvis Presley zur Rock-n-Roll- Ikone geworden, gesteuert von den Sicherheitsorganen der DDR.
Unzählige Musiker, die Stefan Maelck aus irgendeinem Grund nicht leiden kann, bekommen als Marionetten der Stasi ihr Fett weg. Immer treffsicher zwei faustbreit unter der Gürtellinie. Dean Reed und Gojko Mitic sind »rote Socken mit roten Vorhäuten«, die westdeutschen Scorpions »das Fieseste, das der Sozialismus in seiner ganzen verschwiemelten Geschichte hervorgebracht hat«, ihr Wende-Hit »Wind of Change« ist »eine Mischung aus Gammelfleisch und Vogelgrippe«. Andrew Eldritch, Frontmann der britischen Gothic-Rock-Gruppe Sisters of Mercy, wird als minderwertigkeitskomplexbeladener Offiziersanwärter der NVA namens Andreas Ältrich enttarnt. Peter Maffay »gehört zu den am längsten und intensivsten aufgebauten Popspionen des Ostens«. Und Dieter Bohlen, so bekennt Stasi-Mastermind Oberst Duttweiler, ist »die schlimmste Kreatur, die ich jemals geschaffen habe«. Autor Maelck hat sich offenbar vorgenommen, noch fieser, menschenverachtender zu sein als der arrogante »Superstar«-Macher selbst. Nicht einmal davor, Bohlen den Tod anzudichten, schreckt er zurück: »... sogar sein Nachruf ist bereits verfasst«.
Ein ärgerliches Buch, das ohne diese Diffamierungen wohl eine durchaus unterhaltsame verschwörungstheoretische Räuberpistole geworden wäre.
Stefan Maelck: Pop essen Mauer auf. Wie der Kommunismus den Pop erfand und sich damit selbst abschaffte. Die Hartholz-Akte. Rowohlt Berlin, 160 S., geb., 14,90 EUR.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/96905.zwei-faustbreit-unterm-guertel.html