Seid ihr alle da?

»Zauberflöte« in Weimar

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitunter fragen sich Eltern, ob sie ihre Kinder mit in die Oper nehmen sollten. Im Falle der »Zauberflöte« in Weimar könnten sich aber auch die Kinder fragen, ob sie ihre Eltern mitnehmen sollten. So im Seid-ihr-alle-da-Ton sieht man Mozarts Dauerbrenner nämlich selten.

Nun ist es nicht so, dass Regisseurin Nina Gühlstorff, Oliver Helf (Bühne) und Marouscha Levy (Kostüme) nichts eingefallen wäre. Sie bieten sogar viel fürs Auge, die Lachmuskeln und die kleinen grauen Zellen. Sogar der Generalmusikdirektor Stefan Solyom spielt diesmal nicht nur seine professionelle Rolle am Pult der mit Lust aufspielenden Staatskapelle, nein: Er spielt mit - meist mit dem Gesicht zum Saal und auch schon mal als Partner im Kurzdialog. Auf der Bühne geht es poppig bunt zu; von der Ersten Dame bis zum letztem Knaben. Die weibliche Hilfstruppe der Königin der Nacht (Susanne Andersson) zwitschert nicht nur in ihren Barock imitierenden Halbkostümen, sondern auch als Männer verkleidet fröhlich daher.

Tamino (Artjom Korotkov) stolpert von außen und im Straßenanzug mit vorzeitigem Applaus in die Geschichte, grüßt den Dirigenten, macht ein Selfie. Fragt sich offenkundig immer mal, was da eigentlich vor sich geht. Wird ein Mitmacher, der sich als Mädchenbefreier anheuern lässt - auch wenn man um die selbstbewusste Pamina von Elisabeth Wimmer keine Angst hat. Er staunt darüber, dass die Prüfungsrituale bei der Gegenseite, zu denen er sich auch verdonnern lässt, so funktionieren, als wäre er ein Animateur. Am Ende übernimmt er sogar den Posten vom bisherigen Boss des Ganzen. Wenn dieser Sarastro (Daeyoung Kim) den mit Sperrholz verkleideten Verhandlungsraum zu Heiligen Hallen erklärt, in denen man die Rache nicht kennt, dann bestaunen ihn alle wie ein ausgestelltes Fossil, das Dinge redet, an die man höchstens früher mal geglaubt hat.

Am besten funktioniert die verordnete Dosis von szenischem Spaß und Ironie beim Umgang mit den Rollenklischees, wenn sie wirklich konsequent sind. Und natürlich bei Papageno (Sebastian Campione). Der ist laut T-Shirt-Aufdruck ein Vogel- und Naturretter und sonst der nette Clown wie immer.

Zündend ist das kurze Wortscharmüzel, das sich der Sprecher und Tamino nach der Pause über den politisch korrekten Umgang mit den frauenfeindlichen Stellen der Oper liefern. Und zum Rassismusproblem. Wobei der Oberfiesling Monostatus bei Jörn Eichler nur fies und ein Liebhaber von Extrem-Tattoos ist. Am Ende geht der Vorhang zu und viele Fragen bleiben offen. Tamino hat jetzt einen Job. Die Königin der Nacht und ihre Leute verschwinden vermutlich via Zuschauerraum - ganz so wie Tamino aufgetaucht ist. Wenn das ganze bunte Völkchen auf der Bühne nur Theater gespielt haben sollte, wird es sich wohl in der Kantine wiederfinden, über die Lacher freuen oder über die politische Substanz der Vorgängerinszenierung plaudern.

Nächste Vorstellungen: 30.4., 9.5.

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