Sojaboom mit tödlichen Nebenwirkungen

Die argentinische Agrarlobby versucht wissenschaftliche Studien über die Folgen des Agrochemieeinsatzes zu diskreditieren

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.
Argentiniens Landwirtschaft ist ohne den massiven Einsatz von Agrochemikalien undenkbar. Vorliegende Studien über die damit einhergehenden Gesundheitsgefährdungen werden missachtet.

Argentiniens Landbevölkerung lebt mit erhöhtem Krebsrisiko. Rund 12 Millionen Menschen leben in Orten mit weniger als 100 000 Einwohnern, die vor allem von Soja und Mais umgeben sind. Dort werden in denselben hoch aufragenden Silos sowohl Ölsaaten und Getreide als auch Agrochemikalien in großem Umfang gelagert. Dieses Szenario trifft auch auf Monte Maíz in der zentralargentinischen Provinz Córdoba zu. Im Ort lagern Getreide und Soja, chemisch gegen Pilzbefall und Fraß behandelt, sowie große Mengen von Agrochemikalien, darunter vor allem Glyphosat.

Vor knapp einem Monat hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO Glyphosat als »wahrscheinlich Krebs erzeugend bei Menschen« eingestuft. Ein Vorgang, der jedoch in der argentinischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Was umso mehr verwundert, da nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation »Mediziner aus besprühten Orten« jährlich rund 320 Millionen Liter Glyphosat auf den argentinischen Feldern ausgebracht werden. Doch in Argentinien wird die Gefährdung durch Glyphosat im Zusammenspiel von Agrarlobby, staatlichen Behörden und Provinzpolitikern seit Jahren heruntergespielt. Vorliegende Studien werden missachtet oder öffentlich als nicht seriös abqualifiziert; Wissenschaftlern, die sich kritisch mit dem Folgen des Sojabooms auseinandersetzten, droht die Isolierung.

Jahrelang lebten die rund 8200 Einwohner von Monte Maíz mit der Frage, warum sich in ihren Ort die Zahl der Krebserkrankungen, Fehlgeburten mit Missbildungen, sowie Erkrankungen der Atemwege häuften. Schließlich holten sie sich wissenschaftliche Hilfe von den Universitäten Córdoba und La Plata. Mediziner und Studierende gingen von Tür zu Tür, fragten nach den Erkrankungen der Anwohner, nahmen Boden- und Trinkwasserproben. Die Agrarlobby blieb ebenfalls nicht untätig. Mit Telefonaten wurde der Bürgermeister von Monte Maíz unter Druck gesetzt, die öffentliche Präsentation der Ergebnisse abzublasen. Und der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Córdoba, der die Studie zunächst unterstützt hatte, zog seine Unterstützung plötzlich zurück.

Dennoch wurde die im Oktober 2014 gefertigte Studie von Studenten und Hochschullehrern der medizinischen Fakultät der Universität Córdoba in einer öffentlichen Veranstaltung den Einwohnern von Monte Maíz vorgestellt. Die Resultate sind erschreckend. Krebs ist die häufigste Todesursache in Monte Maíz. Für das Jahr 2014 sind 33,4 Prozent der Sterbefälle auf ein Krebsleiden zurückzuführen, vor allen Brust-, Rückenmark-, Prostata-, Schilddrüsen- und Hautkrebs. Während Krebs als Todesursachen in Argentinien mit rund 20 Prozent noch hinter den Herz- und Gefäßerkrankungen als Todesursachen rangiert, liegt die Zahl der Krebserkrankungen in Monte Maíz um das Dreifache über dem Landesdurchschnitt. In absoluten Zahlen auf jeweils 100 000 Einwohner ungerechnet kämen in Monte Maíz auf 707 Menschen mit Krebserkrankungen, in der Provinz Córdoba sind es 264 Menschen und 217 in ganz Argentinien. 21,6 Prozent der notierten Fälle sind Männer unter 44 Jahren, auf Provinzebene liegt diese Rate bei 11,6 Prozent. Hinzu kommt das erhöhte Risiko einer Fehlgeburt, die in Monte Maíz 9,9 Prozent der Schwangeren betreffen, während diese Rate im Landesdurchschnitt bei drei Prozent liegt. Zahlreiche Fälle der Autoimmunkrankheit Lupus, Erkrankungen der Atemwege und der Schilddrüse komplettieren das desaströse Bild. Ähnliche Resultate wie in Monte Maíz wurden auch in Ituzaingó, ebenfalls in der Provinz Córdoba, festgestellt und ließen sich in vielen Orten finden, so die Auffassung der Mediziner. Als Ursache wird der Einsatz von Agrochemikalien vermutet. »Die landwirtschaftliche Zone umfasst 65 000 Hektar, auf denen jährlich 630 000 Liter Pestizide ausgebracht werden«, heißt es in der Studie.

Risikoquellen sind aber auch die großen Silos im, und um den Ort, in denen Soja, Mais und Getreide eingelagert wird. In deren Hülsen und Schalen wurden Reste von Glyphosat und anderen Agrochemikalien gefunden, die sich beim Einlagern und bei Wind über die Ortschaft ausbreiten. Ihren Anteil hat auch die nahegelegene Mülldeponie, auf der jahrelang die leeren Chemikalienbehälter verbrannt wurden. Zudem wurde festgestellt, dass in Monte Maíz jährlich 600 000 Liter Glyphosat in den 22 Vermarktungsstellen eingelagert und wieder abtransportiert werden. Die einzige gute Nachricht ist, dass das Trinkwasser im Ort nicht belastet ist.

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