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»Eine ethische Pflicht des Herzens und des Verstandes«

Politische Aufklärung im Kernland des NSU geht weiter - Sachsens Landtag setzt neuen Untersuchungsausschuss zu Terrortrio ein

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
In Sachsen ist zum zweiten Mal ein Ausschuss eingesetzt worden, der sich mit der Nazi-Terrorgruppe NSU befasst - und der Frage, warum die Behörden im Freistaat sie trotz etlicher Hinweise nicht aufspürten.

Als die Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus Jena 1998 abtauchten, ließen sie sich in Chemnitz nieder. Später lebte das Trio, das als »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) bekannt wurde, in Zwickau. Von ihren Wohnorten in Westsachsen brachen die Terroristen auf, um neun Migranten und eine Polizistin umzubringen und um Geld für das Leben in der Illegalität zu besorgen: Elf Raubüberfälle begingen sie im Freistaat, weitere an der Ostsee und in Thüringen. »Wann immer vom NSU die Rede ist, ist auch von Sachsen die Rede«, sagt daher Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der LINKEN. Der Freistaat sei, fügt sie hinzu, »das Kernland des NSU« gewesen.

Es ist daher nur folgerichtig, dass sich auch und gerade die Landespolitik in Sachsen wieder mit dem NSU befasst - und mit recht unangenehmen Fragen: Welches Umfeld war es, dessen Hilfeleistung es dem NSU ausgerechnet hier erlaubte, 16 Jahre unerkannt abzutauchen? Wie konnte es passieren, dass Behörden zwar deutliche Hinweise auf die gesuchten Nazis erhielten, aber keine Erfolge bei der Fahndung verzeichnen konnten? Warum wurde bei der Polizei nie eine Sonderkommission zu den Banküberfällen gebildet, obwohl offenbar war, dass es sich um Serientäter handelte? Warum blieb das »Blood and Honour«-Netzwerk, auf dessen Hilfe das Trio baute, ausgerechnet im Freistaat vom bundesweiten Verbot aus dem Jahr 2000 ausgenommen?

Diese und viele andere Fragen soll ein Untersuchungsausschuss erhellen, den Sachsens Landtag gestern auf Antrag von LINKE und Grünen einsetzte. Er setzt die Arbeit eines ersten Gremiums fort, das im März 2012 auf den Weg gebracht worden war, seine Arbeit aber wegen der anstehenden Landtagswahl im Sommer 2014 beenden musste. Bis dahin waren in 36 Sitzungen nur 34 von 120 bereits benannten Zeugen und sechs von zwölf Sachverständigen gehört worden. In einem Minderheitenvotum hatten die Fraktionen von LINKE, Grünen und SPD bereits eine Fortsetzung in Aussicht gestellt. Viele wichtige Fragen, hieß es damals, seien offen. Seither, sagt der Grünenabgeordnete Valentin Lippmann nun, seien diese »eher mehr als weniger geworden«.

Darüber besteht im Landtag weitgehendes Einvernehmen. Zwar merkt die CDU an, dass man ihrer Meinung nach »nicht von einem sächsischen Thema« reden könne: Innenpolitiker Christian Hartmann erinnert daran, dass bei Ermittlungen in der Causa NSU Thüringen federführend gewesen sei. Zum erneuten Ausschuss aber bekannte sich Hartmann namens der CDU deutlich: »Wir verschließen uns der Fortsetzung nicht«, sagte er. Anders sein Fraktionskollege Sebastian Fischer: Der 33-jährige Politiker aus Großenhain hatte das Gremium vor Wochen auf Twitter abfällig als »Beschäftigungstherapie« bezeichnet.

Auch die SPD, die seit der Wahl im August in eine Koalition mit der CDU gewechselt ist, steht zu ihrer Haltung aus Oppositionszeiten, sagte Innenpolitikerin Sabine Friedel. Der Ausschuss sei »richtig und wichtig«, erklärte sie und fügte an, weitere Aufklärung sei »eine ethische Pflicht des Herzens und des Verstandes«.

Trotz der allgemein aufgeschlossenen Haltung gab es gestern freilich kein gemeinsames Votum der Opposition und der Regierungsfraktionen. Dem Vernehmen nach hätte die CDU dem nur zugestimmt, wenn auch die »Alternative für Deutschland« mit ins Boot geholt worden wäre. Dem hätten sich die Antragsteller widersetzt. Zur Begründung hieß es bei der LINKEN, die AfD habe nicht zu den Fraktionen gehört, die bis zur Wahl an der Ausschussarbeit beteiligt waren. Sie ist freilich auch erst seit August im Landtag vertreten. Von »innerparlamentarischen Spielchen« sprach Friedel. CDU und SPD enthielten sich; die AfD stimmte für den Ausschuss.

Bereits gestern regelte der Landtag auch die Stärke des Ausschusses; am Donnerstag sollen dessen 18 Mitglieder sowie der Vorsitzende bestimmt werden, den die CDU stellt. Sie nominierte den Dresdner Abgeordneten Lars Rohwer. Damit scheint das Ziel greifbar, noch vor der Sommerpause erste Zeugen zu hören.

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