Vor dem Beben

Das Solo-Stück »Nepal« im Theaterdiscounter

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Theater ist eine anachronistische Kunst. Das hat durchaus Vorteile. Längst vergangene Ereignisse können mit Körper und Stimme vergegenwärtigt werden. Aktuell wird im Theaterdiscounter ein Nepal vor dem Beben in Erinnerung gerufen. Ein Nepal aus der Sicht von Entwicklungshelfern, genauer: aus der Perspektive eines mittlerweile erwachsenen Sohnes von Schweizer Entwicklungshelfern, der sich auf die Suche der Stätten seiner Kindheit begibt. Premiere hatte »Nepal« bereits im letzten Jahr in Zürich und kommt jetzt in einer angenehm unaktualisierten Form nach Berlin. Nur die Spendendose für die Erdbebenopfer an der Kasse signalisiert, dass dieses Gastspiel in einer besonderen Situation stattfindet.

»Nepal« ist ein strikt autobiografischer Abend. Sebastian Krähenbühl erzählt seine Geschichte selbst. Dazu befragt er seine Eltern - projiziert auf zwei Videowände, die wie Seitenaltäre des kastenartigen Bühnenaufbaus wirken - nach den Gründen ihrer Reise nach Nepal. Sie wollten mal wieder weg, und der Vater, ein Ingenieur, schien der passende Kandidat für den Bau einer Hängebrücke. Offenbar erledigte er seine Aufgabe erfolgreich, denn er blieb länger im Lande. Aber nicht erfolgreich genug, mag man sagen, denn trotz der durch Krähenbühl senior verbesserten Infrastruktur gehen jährlich Hunderttausende junge nepalische Männer auf Arbeitssuche ins Ausland. Gegenwärtig sind etwa 3,5 Millionen der insgesamt 26 Millionen Nepalesen als Arbeitsmigranten über den Globus verteilt. Krähenbühl junior streift diesen Aspekt einer nicht so ganz erfolgreichen Entwicklungspolitik in seinem Stück.

Im Zentrum allerdings steht seine Biografie-Bruchstück-Suche. Dabei sieht man ihn durch Fernsehmonitore und Bühnenprojektionen vervielfältigt über die Straßen Kathmandus laufen. Man verliert ihn im Verkehr, auch er selbst verliert sich darin, um dann in vorgefertigten Dreierkonversationen mit sich selbst doch immer wieder aufzutauchen. Das ist eine hübsche szenische Idee; leider walzt Krähenbühl sie unendlich aus. Auch legt er als Performer sehr viel Wert auf das Darstellen der Unsicherheiten bei der Annäherung. Das ist zu Teilen sympathisch, weil es eben der Selbstgewissheit der Europäer in ferneren Gebieten zuwiderläuft; Krähenbühl verliert dabei aber als Erzähler an Souveränität.

Enttäuschenderweise ist der Abend gerade dann zu Ende, wenn es eigentlich erst richtig losgehen sollte. Der Video-Krähenbühl hat endlich den alten Gärtner der Familie gefunden. Der Bühnen-Krähenbühl beschreibt nun verbal das alte Foto, auf dem er selbst als Kind mit einem Fahrrad und dem damals noch sehr jungen Gärtner zu sehen ist. Dann fällt der Vorhang.

Ein schönes Format und ein gutes Thema wurden nicht ausgereizt. Interessante Momente bietet der Abend dennoch. Einblicke in die Mentalitäten von Entwicklungshelfern etwa. Überraschende Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Nepal - hohe Berge, viele Sprachen, keine Küste. Und auch den Hinweis, dass die sozialen Widersprüche im Land einst zur Bildung einer maoistischen Partei führten.

Weitere Vorstellungen: 2., 3.5. 20 Uhr

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