Von Torten zu Torturen

Rüdiger Nehberg 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war der Romancier B. Traven, der diese seltsame, so modern gewordene Spezies beschrieb: »Menschen mit sonderbar brennenden Augen und Seelen« - die Abenteurer. Aus denen nun leider eine Massenorganisation des Tourismus erwuchs, bei dem man nicht reist, sondern transportiert wird. Einmal kurz nach Bali und dann vierzig Jahre lang Vorträge an der Paderborner Volkshochschule über den Zauber Südostasiens. Und an Abenteuern höchstens noch eine schiefe Krawatte kurz vor Bürostundenbeginn oder mal einen ganz scharfen Senf zum Würstchen. Hochkonjunktur für River Rafting - ein kalter Spritzer Wasser in die innere Leere ...

Anders Rüdiger Nehberg, Deutschlands bekanntester Abenteurer. Sir Vival. Der Mann baute sich in Hamburg eine bürgerliche Bäckerei-Existenz auf - die ihm Fessel wurde und zugleich Rettung: Das tägliche Einerlei schürte den Ausbruchswillen, aber erst das erfolgreiche Geschäft mit dem Kuchenhunger der Leute ermöglichte den finanziellen Freiraum. Und so ging der Weg von den Torten zu den Torturen. Um die höllische Danakil-Wüste zu durchqueren, um per Treetboot und Bambusfloß den Ozean, per Styropor-Boot den Blauen Nil zu zwingen. Und zwischendurch Bücher fürs Überlebenstraining, Tipps von der Ausrüstung bis zum Regenwurm-Rösten. Und durchgängig die Manie des Lehrgangsbesuchs, wider die Langeweile und das Nichtwissen: Sprachen, Waidwerk und Weben, Steuer-Abc, Töpfern, Verkaufspsychologie, Tauchen, Drehbuchschreiben. Nehberg ist ein Lebensfresser, ist Pfadfinder, um Sucher zu bleiben; naiv, ohne Furcht vorm Infantilen; ein Kämpfer und ein Clown; drahtig und drollig in der Kunst, sich in einer Gesellschaft rar zu machen, der er die Künste seiner Exotik bestens verkauft.

Anfang der 80er Jahre stieß er tief in Brasilien auf die Yanomami-Indianer. Vorbereitet hatte er sich mit einem spektakulären 1000-Kilometer-Marsch von Hamburg bis Oberstdorf, ohne Geld, ohne Nahrung - die Bäckerei war inzwischen verkauft. Nehberg wurde bei den Indianern, dem letzten großen Regenwaldvolk, zum Botschafter der Solidarität für Untergangsgeweihte jenseits der Zivilisation. Mehr und mehr wandelte sich die Mission ins Traurige - Nehberg blieb der Wieselige, Wildgierige, aber er wurde auch zum Chronisten der Zerstörung und Vernichtung durch gnadenlose Goldsucher. Immer zwischen Action und Ethos. In den letzten Jahren kämpfte er gegen das Verbrechen der weiblichen Genitalverstümmelung, gründete mit seiner Frau die Menschenrechtsorganisation TARGET.

Der Mann vom Mühlengelände im norddeutschen Rausdorf ist umstritten wie jeder Besessene. Er wollte sich stets angemessen verhalten, aber eben nur dort, wo die Natur das Maß vorgibt, nicht das domestizierte Leben. Er hat konsequent das Weite gesucht, er hat also die heimische Gewöhnlichkeit verlassen - damit ihm da, in der braven geordneten Bürgerlichkeit, die Furcht vor Existenz und Schicksal und Tod nicht unter Niveau rutscht. Heute wird Rüdiger Nehberg 80 Jahre alt.

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