Milch-Müller wird Müllmann

Molkerei will Sachsens größter Abfallentsorger werden

  • Hendrik Lasch, Leppersdorf
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

In der Sachsenmilch-Molkerei Leppersdorf soll bald Müll verbrannt werden. Die sächsische Tochter des Müller-Konzerns will damit auf Preisdruck und hohe Energiekosten reagieren. Die Anwohner sind empört.

»Alles Müll, oder was?« - so lautete einst die Parodie einer Hilfsorganisation auf einen Werbespruch von Müller Milch. In den Chefetagen des bayerischen Molkerei-Imperiums war man nicht amüsiert und bemühte Gerichte. Im sächsischen Leppersdorf könnte das Unternehmen den Slogan jetzt aber selbst nutzen. Tochter Sachsenmilch will ein Kraftwerk bauen, das Strom und Dampf für die Molkerei erzeugen soll - und mit Müll befeuert würde. Mit einem Jahresverbrauch von 300 000 Tonnen wäre es die größte Anlage im Freistaat. Die Molkerei, in der jährlich 1,4 Millionen Tonnen Milch verarbeitet werden, hat einen enormen Energiebedarf. Die Preise für Öl und Gas aber steigen, während gleichzeitig im Lebensmittelbereich ein ruinöser Preiskampf tobt und den Branchengrößen wie Müller kräftig anheizen. Mit dem Kraftwerk, das 100 Millionen Euro kosten soll und dessen Bau von der EU gefördert werden könnte, will sich Sachsenmilch aus dem Dilemma befreien. Die Anlage soll, wie ein Informationsblatt für die Anwohner erklärt, mit erzeugten 170 Gigawattstunden Strom und 250 Gigawattstunden Wärme pro Jahr den Molkereibedarf decken. Angenehmer Nebeneffekt für Müller: Wer Müll verbrennt, muss den Brennstoff nicht bezahlen, sondern erhält die Entsorgung im Gegenteil bezahlt. Die Anwohner der hochmodernen Molkerei sind von den Plänen alles andere als angetan. An den Zäunen alter Leppersdorfer Bauernhäuser hängen ebenso Transparente mit Unmutsbekundungen wie an neuen Reihenhäusern. Eine Bürgerinitiative bündelt den Widerstand. Als die Pläne jetzt erstmals öffentlich ausgelegt wurden, hagelte es rund 1000 Einsprüche. Besorgt sind potenzielle Nachbarn des Müllofens über das weiter wachsende Verkehrsaufkommen. Schon jetzt rollen in den Ort Tag und Nacht Lastzüge mit Milch, die aus dem Norden Sachsen-Anhalts ebenso kommen wie aus Tschechien. Um 800 Tonnen Müll am Tag anzuliefern, müssten weitere fünf Lastzüge in der Stunde rollen. Woher der Haus- und Gewerbemüll kommen soll, ist unklar. Müller will ihn in Sachsen abholen. Dort und im benachbarten Sachsen-Anhalt gibt es aber bereits große Müllverbrennungsanlagen. Insider wie Ludger Rethmann, Vorstandschef des Entsorgers Remondis, rechnen für Deutschland spätestens 2009 mit »absoluten Überkapazitäten« und einem dramatischen Preisverfall. Der Anlagenbedarf, so die Sorge auch in Leppersdorf, müsste dann durch Importe gedeckt werden. Noch größere Befürchtungen weckt in der waldreichen Gegend nahe Dresden ein erwarteter Schadstoffausstoß. Zwar beteuert Sachsenmilch, die Anlage erhielte »hochsensible, leistungsfähige Filtersysteme«; alle gesetzlichen Grenzwerte würden unterboten. Die Bürger aber zitieren Umweltverbände, laut denen viele bei der Müllverbrennung anfallenden Stoffe noch nicht einmal erforscht sind. »Wir hätten vor zwölf Jahren kein Grundstück im Einflussbereich einer Müllverbrennungsanlage gekauft«, heißt es in einem Brief von Anwohnern - »die Annahme einer gesunden Umwelt« habe die Standortwahl bestimmt. Die Informationspolitik des Unternehmens hat das Verhältnis nicht entspannt. Zwar lud man, als der Widerstand zu eskalieren begann, zu einer öffentlichen Anhörung mit Gutachtern. Doch der Umstand, dass in einem Hochglanz-Werbeblatt von einem »Ersatzbrennstoff-Kraftwerk« die Rede ist und Müll nur am Rande erwähnt wird, sorgt ebenso für Skepsis wie das Abwiegeln gegenüber der Presse. ND wurde beschieden, zu einer Liste mit Fragen werde es »keine Stellungnahme« geben. Eine wichtige Vorentscheidung darüber, ob Müller den Abfallofen bauen darf, fällt heute. Der Gemeinderat der Gemeinde Wachau, zu der Leppersdorf gehört, müsste den Bebauungsplans ändern, um das Kraftwerk zu ermöglichen. Die Bürgerinitiative mahnt die Abgeordneten eindringlich: Mit einer Zustimmung gäben sie »jede Einflussmöglichkeit auf die Durchsetzung von nicht risikobehafteten Alternativen aus der Hand«. Müller indes führt ebenfalls gewichtige Argumente ins Feld: Bei dem Kraftwerksbau gehe es auch um 1700 Arbeits...

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