Calw schmückt sich mit Hermann Hesse

Eine beschauliche Stadt in Baden-Württemberg hat mehr zu bieten als das KSK

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kennt Calw vor allem als Bundeswehr-Standort des »Kommando Spezialkräfte« (KSK), das von der örtlichen Graf-Zeppelin-Kaserne aus Geheimeinsätze in alle Welt startet. Wer allerdings durch das beschauliche Schwarzwaldstädtchen im tiefen Tal der Nagold mit seinen restaurierten Fachwerkhäusern schlendert, findet hier weniger die Spuren des Militarismus, dafür umso mehr Hinweise auf den berühmtesten Sohn der Stadt: Hermann Hesse. Als Fußgänger begegnet man auf der verkehrsberuhigten Nikolausbrücke einer lebensgroßen Bronzestatue des 1962 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Dichters und Schriftstellers, in der Nähe ist eine Hesse-Gedenktafel des lokalen Italienischen Kulturvereins. Man gelangt über den Hermann-Hesse Platz zu Hesses Geburtshaus am Markt.

Ein beschilderter Rundgang durch das Städtchen mit markanten Hesse-Zitaten lässt die Besucher in des Dichters Jugendjahre eintauchen. Am oberen Marktplatz vermittelt das ganzjährig geöffnete kommunale Hermann-Hesse-Museum einen Einstieg in Ansichten seines Lebens und Werks. Nebenan trägt das Café Montagnola den Namen jenes Tessiner Bergdorfs, in dem der gereifte Hesse seine zweite Lebenshälfte verbrachte.

Doch der oberflächliche Eindruck, dass der Dichter und seine Geburtsstadt immer ein Herz und eine Seele gewesen seien, trügt. Denn der junge Hesse war nach heutigen Kategorien ein Aussteiger, der es in dem vom schwäbischen Pietismus und religiösem Sektierertum geprägten spießbürgerlichen Milieu nicht aushielt, in dem nahezu jede Lebensfreude als gottlos galt. Als Teenager verließ er den ihm vom streng christlich orientierten Elternhaus vorgegebenen Karriereweg, schlug die Laufbahn eines Pfarrers aus, suchte das Weite.

Schon mit 27 Jahren erlebte er einen ersten Durchbruch als Bestseller-Autor. Im Ersten Weltkrieg distanzierte sich Hesse, der sich zunächst als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, rasch von den Gräueltaten des deutschen Militarismus, in der NS-Zeit fanden viele antifaschistische Deutsche, darunter Bertolt Brecht und Thomas Mann, bei Hesses in Montagnola eine erste Zuflucht. All dies nahmen ihm eingesessene Calwer bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts übel.

Doch die konsequente Gegnerschaft zum NS-Schurkenstaat, in dem seine Bücher verbrannt wurden, gereichte Hesse schließlich zum Vorteil. Schon ein Jahr nach der Befreiung vom Faschismus erhielt er für sein Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Ein Jahr später ernannten ihn die Calwer zum Ehrenbürger. 1955 schließlich erhielt er für seine Werke und Rezensionen während der NS-Zeit den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Wiederentdeckung und Popularität seiner Werke bei einer kritischen jüngeren Generation ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre erlebte Hesse nicht mehr.

Seine Romane, Erzählungen, Gedichte und Briefe wurden in zahlreiche Sprachen der Erde übersetzt und in über 100 Millionen Exemplaren verbreitet. Seit Jahrzehnten reisen zu allen Jahreszeiten junge und geistig jung gebliebene Hesse-Fans aus ganz Europa, Japan, den USA und anderen Teilen der Erde in die Geburtsstadt und lassen sich vor Ort inspirieren. Zu den berühmtesten Hesse-Fans gehört übrigens auch der Rockmusiker Udo Lindenberg, der schon mehrfach bei den alljährlichen Calwer Open Air Rockfestivals aufgetreten ist.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal