Thielemanns Triumph

Beim neuen Dresdner »Freischütz« überflügelt die Musik alles, was Regisseur Axel Köhler sich auch einfallen ließ

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie ist mal wieder am Dresdner Elbufer eingekehrt, die deutsche Lieblingsoper »Der Freischütz«. Dort passt sie genau so gut hin wie nach Berlin, den Ort ihres rasanten Erfolgs nach der Uraufführung 1821. Heute wie vor knapp 200 Jahren: »Freischütze« in Berlin und Dresden. Huschte man jedoch Mitte Januar in Berlin, so rasch es ging, ins Schillertheater, machte sich Dresden seine Premiere am 1. Mai zum Fest. Auf dem Theaterplatz die Übertragung der Vorstellung bis tief in die kühle Mainacht.

Im Opernhaus großer Auftritt für Christian Thielemann. Er zelebrierte die »Freischütz«-Ouvertüre, trieb sie in die Höhe eines musikalischen Wunderbaus. Die beiden Crescendi am Beginn, jeweils gefolgt von seltsam ermattenden Streicherausklängen, darauf folgend eine herrliche Hörner-Kantilene, bald sich verflachend hin zum Tönen dumpfer Pauken. Es lösen sich Seufzer aus der tiefsten Seele, verdichten sich zu gehetzter Verzweiflung, bis alle Mächte der Finsternis losbrechen, um dann doch einem Schimmer von Trost weichen zu müssen - das alles ein Wunder von Klangfarbenspiel, von winzigsten Veränderungen der Stimmung von tiefster Düsternis zum Licht, das alles ausgekostet bis ins feinste Detail. Trotz höchster Aufschwünge und tiefer Abstürze klingt alles intim, selbst in der Gründerzeit-Wucht des Dresdner Zuschauerraums. Dann aber hält das Haus die Luft an. Thielemann holt aus zum ganz großen Theater. Zwei Minuten vor Schluss der Ouvertüre der triumphal auffahrende Jubel, draußen wird der Platz erbeben, der Vorhang kann aufgehen zum Sternschießen.

Regisseur Axel Köhler und Bühnenbildner Arne Walther haben es in eine Ruine verlegt; irgendwo im Wald muss sie stehen, im Hintergrund ragen kahle Kiefernstämme dunst-umwabert empor. In dieser Nachkriegsruine wird sich auch alles Weitere abspielen, Jungfernkranz, Wolfsschlucht und festliches Finale mit Chor. Nachkrieg, das könnte in Axel Köhlers Sicht und entsprechend den Kostümen von Katharina Weissenborn »kurz nach dem Zweiten Weltkrieg« heißen und träfe damit seelisch wohl keine andere Konstellation als Webers originale Angabe »kurz nach dem 30-jährigen Kriege«. Bauern und Jäger, letztere eine irgendwie übriggebliebene paramilitärische Gruppe, stehen einander feindlich gegenüber und vereinen sich doch aus Mitleid mit dem verliebten Max zum harmonischsten Chorgesang.

Auch hier punktet wieder Thielemann. Tempo, Steigerungen, musikalischer Ausdruck, man kann es kaum besser machen. Der Chor ist überdies perfekt vorbereitet, das zeigt sich in allen folgenden Chorstellen, Jägerchor inklusive. Überhaupt war der Abend ein vollkommener Triumph der musikalischen Seite eines Opernerlebnisses. Axel Köhler erzählt konsequent und schnörkellos, hat auch hin und wieder spannende Ideen zur genaueren Charakterisierung der handelnden Personen, aber eine konsequente Figurenerzählung ergibt sich daraus nicht. Dies schafft Michael Thalheimer in Berlin trotz seiner dialogfreien Fassung des Werkes souverän. Apropos Dialoge: Werner Hintze hat sie für Dresden behutsam gekürzt und modernisiert, allzu antiquiertes Vokabular wurde getilgt.

Was Thielemann der Dresdner Staatskapelle und dem Opernchor angedeihen ließ, tat er auch für die Solisten. Er führte sie zu optimaler Intensität und Leuchtkraft. Besonders galt das für die hervorragend besetzten kleineren Partien. Kuno, Albert Dohmen, war ein stimmgewaltig energischer Chef seiner grobschlächtigen Jägertruppe und selbst seinen bislang besten Mann, Max, fasste er keineswegs mit Samthandschuhen an. Andreas Bauer gab mit makellos grundtiefem Bass einen energischen Eremiten, der selbst den Fürsten Ottokar, so kriegslüstern wie politisch geschickt der wunderbar klingende Adrian Eröd, Respekt abnötigte. Mit Sebastian Wartigs fein gesungenem Kilian fühlte man sich ein wenig an Olaf Bär erinnert, der mit genau diesem Lied die ersten Töne in der 1985 neu eröffneten Semperoper sang.

Georg Zeppenfeld und Michael König waren als Kaspar und Max ein perfektes Sängerpaar. Keiner von beiden schenkte dem anderen auch nur eine Handbreit Bühnenboden. Hier die agile, stark tuende, dabei von allen Höllenängsten gepeitschte Kraft des Bösen, dort der durch einige Fehlleistungen tief in seinem Selbstbewusstsein verunsicherte Brave. Beide ließen ihre so unterschiedlichen männlichen Selbstbehauptungen und deren jeweilige Erschütterung durch Liebes- oder Lebensangst mittels gestisch klug geführten Gesangs spürbar werden. Weniger interessant die Frauen. Sara Jakubiak mit leicht befremdlichem amerikanischem Akzent in den Dialogen, war eine lyrisch sehr überzeugende Agathe, die ansonsten aber wenig auffiel. Christina Landshamer sang Ännchens musikalische Dauerbrenner mit der nötigen Anmut, fein und wie es sich gehört.

Zweiter musikalischer Höhepunkt nach der Ouvertüre war die Wolfsschlucht-Szene. Was Thielemann hier an chorischen Gespenstertönen und orchestraler Geisterbeschwörung auffuhr, kann keine Bühne übertrumpfen, obwohl Axel Köhler an Dunst und Blitz nicht sparte. Es ging aus wie der Beifall am Schluss: das meiste, aber nicht alles, für das Orchester und seinen Chef.

Nächste Vorstellungen: 6., 9., 11.5.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal