Der Nebenkohl

PERSONALIE

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Ende 2004, als Heribert Schwan seinen 60. feierte, sah sich der Journalist auf dem Zenit. Zur Feier des Tages erschien nämlich »völlig überraschend Altkanzler Helmut Kohl«. Keiner der Gäste, so Schwan selbst auf seiner Internetseite, »wusste um Heribert Schwans ›Dienste‹ für Kohl. Es war nicht leicht für den Geehrten, seine Anwesenheit mit vielen Worten zu begründen. Der tatsächliche Grund wurde auch am 4. Dezember 2004 verschwiegen.«

Der Grund, an den man dieser Tage wieder denkt, war der, dass der mächtige WDR-Mann in den Jahren zuvor Zeit genug hatte, nebenher als Ghostwriter Helmut Kohls Leben aus dessen eigener Sicht zu Papier zu bringen: 2000 erschien »Mein Tagebuch«, in dem sich Kohl/Schwan gegen die »überzogenen Angriffe«, die »Kampagne« nach der bis heute nebulösen Spendenaffäre der CDU wehrte. Weil das so gut lief, folgten bis 2007 drei Bände von Kohls »Erinnerungen«.

Besonders das »Tagebuch« ist heikel: Hier verteidigte einer aus der Leitung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt undercover die zentrale Figur einer der handfestesten Affären der Wendezeit. Schwan aber fand sein Engagement als Nebenkohl nie problematisch. Stattdessen nutzte er die Verbindung, um im Ruhestand unter Klarnamen weitere Bücher nachzuschieben: 2010 erschien »Virtuose der Macht«, 2011 »die Frau an seiner Seite« und 2014 »die Kohl-Protokolle«. Das Buch, das Schwan nun in die Nachrichten bringt, weil es unautorisierte Zitate enthielt - zu Unrecht, wie jetzt zweitinstanzlich das Kölner Oberlandesgericht befand.

Entstanden waren die entsprechenden Aufnahmen 2001 und 2002, als Schwan die Ghostwriterbände vorbereitete. Es ist tatsächlich schade, dass ausgerechnet die interessantesten Passagen nun nicht weiter veröffentlicht werden dürfen. Doch Mitleid mit Schwan muss man nicht haben. Denn Kohls Blockade spiegelt nur die Distanzlosigkeit, zu der sich der hoch dekorierte Journalist hergegeben hatte: Als Ghostwriter, so das Gericht, war er in einer »dienenden Funktion«. Gerade so hatte der Alte gewettet.

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