»Gesundheit ist keine Ware«

An der Charité begann das Pflegepersonal zu streiken / Notfalldienst ist eingerichtet

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor der Charité in Mitte ist seit gestern geflaggt. Weiße Fahnen mit dem roten Emblem der Gewerkschaft ver.di zeigen: Der Pflegestreik an Deutschlands größtem Universitätsklinikum hat begonnen. Auch im Campus Virchow-Klinikum in Wedding hat das Pflegepersonal die Arbeit niedergelegt. »Seit sieben Uhr werden die Operationssäle bestreikt«, teilte Gewerkschaftssekretär Werner Koop mit. Etwa 150 Schwestern und Pfleger legten nach Angaben von ver.di gestern aus Protest gegen das Lohnniveau die Arbeit nieder. Die Ärzte streiken nicht. Viele der Streikenden vor dem Bettenhochhaus fühlen sich von den Ärzten im Stich gelassen. »Sie stehen nicht hinter uns«, beklagte eine Anästhesieschwester. Vielfacher Vorwurf des Pflegepersonals: Sie würden vom Streik immer wieder wegen angeblicher Operationsnotfälle abgerufen. Oft seien das aber keine »echten Notfälle« gewesen. »Natürlich lassen wir keinen Krebs- oder Tumorkranken auf dem Gang liegen«, erklärte eine Schwester aus der Chirurgie. Und selbstverständlich sei auch ein Bereitschaftsdienst für Notfälle eingerichtet worden. Trotzdem sei es zwischendurch immer wieder zu »kleinen Scharmützeln« zwischen dem streikenden Pflegepersonal und den Ärzten gekommen, hatte Gewerkschaftssekretär Koop festgestellt. »Zwei Herzen schlagen in der Brust«, so eine Streikende. »Die Patienten dürfen auf keinen Fall leiden, aber wir müssen auch für unsere Verbesserungen kämpfen.« Auch nach Ansicht Koops wurde »massiver Druck« von Seiten der Ärzte auf Schwestern und Pfleger ausgeübt, um sie vom Streik fernzuhalten. Nach Gesprächen mit der Geschäftsleitung habe man sich geeinigt, nur noch zusätzliches Personal einzusetzen, wenn der Notdienst nicht ausreiche. Die Streikenden fordern unter anderem »eine Tariferhöhung um 4,4 Prozent auch für uns, gleiche Vertragsbedingungen für alle Beschäftigten und die Übernahme des Tarifvertrages öffentlicher Dienst für die Charité«. Eine Urabstimmung am Freitag hatte bei den rund 14 000 Schwestern, Pflegern und Verwaltungsangestellten der Charité eine 91-prozentige Zustimmung zu einem Streik im Rahmen der seit 2004 laufenden Tarifverhandlungen ergeben. Seit 2002 haben die 14 000 Charité-Beschäftigten laut ver.di keine Lohn- und Gehaltserhöhungen mehr bekommen. »Seit Jahren werden unsere Kolleginnen und Kollegen zu schlechteren Bedingungen eingestellt. Gleichzeitig droht man uns mit betriebsbedingten Kündigungen«, heißt es in einer Patienten-Info unter der Überschrift »Pflegefall Charité«. Heute werde im Campus Mitte und Benjamin Franklin in Steglitz gestreikt, am Donnerstag im Benjamin Franklin- und Virchow-Klinikum. Bis dahin werden in der Eingangshalle des Bettenhauses in Mitte eifrig Forderungen auf großformatigem braunem Packpapier formuliert: »Quo vadis, Charité?« und »Wir helfen Patienten - wer hilft uns?«, wird gefragt. Andere fordern »Angleichung der Tarife an allen Campi!« und »Gleiche Löhne und Arbeitszeiten für Ost und West!«. Und auf einem meterlangen Transparent an der Front des Bettenhauses wird erinnert: »Gesundheit ist keine Ware«. Den Patienten wird auf Flugblättern versichert: Die Streiks richten sich nicht gegen Sie. Die Streikenden bitten um Verständnis: »Tag für Tag, Nacht für Nacht sind wir für Kranke im Einsatz. Wir pflegen, heilen, therapieren, kochen, waschen, putzen, reparieren. Vor und hinter den Kulissen sorgen wir dafür, dass der Krankenhausbetrieb gut funktioniert. Wir wollen das auch künftig gerne tun. Doch dafür brauchen wir gute Arbeitsbedingungen«.
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