Kampfziel digitaler Binnenmarkt

EU will in der Internetwirtschaft stärker mitmischen - der normale Nutzer hat wenig davon

Brüssel möchte mit einem Gesetzespaket einen digitalen Binnenmarkt herstellen. Europa soll gegenüber den USA aufholen.

Die EU-Kommission hat eine Untersuchung des Onlinehandels in Europa eingeleitet, um mögliche Verstöße gegen Wettbewerbsregeln aufzudecken. Europas Verbraucher stießen beim grenzüberschreitenden Einkauf im Internet auf zu viele Hindernisse, die teils von den Unternehmen geschaffen würden, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Mittwoch in Brüssel. Zunächst wolle man Auskunft von Akteuren im Handel mit Elektronik, Bekleidung und Schuhen sowie digitalen Inhalten einfordern. Bei Verstößen gegen Wettbewerbsregeln drohen saftige Geldbußen. Als mögliches Hindernis beim Onlineeinkauf nannten die Brüsseler Wettbewerbshüter das »Geoblocking« - vertragliche Beschränkungen in Vertriebsvereinbarungen, die Einzelhändler hindern, Waren oder Dienstleistungen an Kunden in einem anderen Mitgliedstaat zu verkaufen.

Mit dieser verbraucherfreundlichen Aktion will Brüssel dem Bürger auch einen weit ambitionierteren Vorstoß schmackhaft machen: die Schaffung eines digitalen EU-Binnenmarktes. Laut einem ebenfalls am Mittwoch präsentierten Strategiepapier plant die EU-Kommission hierbei 16 Gesetzesinitiativen bis Ende 2016. Diese beinhalten einen bunten Strauß an Maßnahmen - vom Abbau von Hürden beim grenzüberschreitenden Onlinehandel über ein neues europäisches Urheber- und Datenschutzrecht bis hin zu neuen Bestimmungen für Daten-Cloud-Dienste. Die Telekomkonzerne - meist ehemalige Staatsmonopolisten der EU-Staaten - sollen im Wettbewerb mit Internetanbietern wie Suchmaschinen, sozialen Netzwerken oder App-Stores gestärkt werden. Ferner schwebt der EU-Kommission der Aufbau europäischer Clouddienste vor, die die großen Datenmengen von Unternehmen verwalten. Eine Kultur der Datensicherheit könne hierbei zum Wettbewerbsvorteil werden, wie der EU-Kommissar für Digitalwirtschaft, Günther Oettinger, bei einer Pressekonferenz in Brüssel erklärte.

Ähnlich wie im Stromsektor, wo eine EU-Energieunion geschaffen werden soll, stört sich die EU-Kommission an der Existenz 28 verschiedener nationaler Regelungen im Digitalbereich. Brüssel will vereinheitlichen, selbst mehr Aufgaben bekommen und zudem Infrastrukturinvestitionen mitfinanzieren. In vielen strukturschwachen Gegenden fehlen schnelle lokale Breitbandnetze, um Bürger und Unternehmen an den rapide wachsenden Datenmengen im Internet teilhaben zu lassen. Wie bei den Stromnetzen sollen auch hier von der EU angeschobene Milliardeninvestitionen weiterhelfen. Der Netzausbau ist einer der Schwerpunkte des Investitionsplans von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker .

Der Gedanke hinter den neuen Plänen: Wenn die digitale Wirtschaft reibungslos über Grenzen hinweg funktioniert, kann sie besser wachsen und gegenüber der bislang übermächtigen Konkurrenz aus den USA die »Aufholjagd beginnen«, wie es Oettinger ausdrückte. Nach Angaben der EU-Kommission könnten hunderttausende neuer Jobs entstehen und die Wirtschaft könnte sich Kosten in Höhe von 415 Milliarden Euro jährlich sparen. Kein Wunder, dass Industrieverbände die digitale Strategie begrüßen. Der deutsche BDI sprach von einem »wichtigen Schritt«, jetzt müssten aber Taten folgen.

Die EU-Pläne folgen dem wirtschaftsliberalen Konzept, dass Handel in größerem Raum mehr ökonomische Fortschritte mit sich bringt. Das Interesse normaler Nutzer, möglichst ungehindert und kostenlos an Informationen und Internetinhalte zu gelangen, kommt dabei zu kurz: So kritisierte der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, es bräuchte einen deutlich größeren Wurf, um einen gleichen Zugang zum digitalen Markt für alle zu garantieren. In den Plänen der EU-Kommission fehlten klare Neutralitätsverpflichtungen für die Anbieter von IT-Dienstleistungen, um die Rechte von Wettbewerbern und Verbrauchern zu schützen. Joe McNamee von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights wies darauf hin, dass Brüssel jeder Lobby nachgegeben habe, so dass am Ende »begrenzte, unambitionierte Pläne« vorgelegt worden seien.

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