»Ich saß auf einem Pulverfass«

Whistleblower Rudolf Elmer über die Gründe, warum zu wenig gegen Steuerhinterziehung getan wird

  • Lesedauer: 8 Min.

Im Januar 2008 veröffentlichten Sie interne Dokumente der Schweizer Julius Baer Trust Company auf den Cayman Inseln über die Plattform Wikileaks. Würden Sie diesen Schritt rund sieben Jahre später nochmal wagen?

Ja. Aber ich würde es noch intelligenter machen und mich nicht mehr so ungeschickt anstellen.

Was lief schief?

Für mich und meine Familie waren die Offenlegungen bei den Schweizer Behörden 2004 eine sehr große Belastung. Wir bekamen Drohungen und wurden damals teilweise rund um die Uhr von Privatdetektiven der Bank beobachtet. Natürlich machten sie das so, dass wir es merkten - parkten etwa mit ihrem Auto direkt vor unserem Haus, so dass wir sie vom Esstisch sehen konnten. Besonders meine damals sechsjährige Tochter litt darunter. Einmal machte sie eine Zeichnung, auf der sie sich in einem Sarg sah und sagte dann: Die schwarzen Männer, also die Privatdetektive, würden ihr das antun.

Sind Sie da nicht zur Polizei gegangen?

Ja, natürlich. Doch es hat mir nichts genutzt. Es war naiv von mir zu glauben, dass die Schweizer Steuerbehörde und die Justiz mich schützen würden. Das haben sie nicht getan. Im Gegenteil: Stattdessen wurde ich vors Gericht gezerrt. Schutz hätte ich nur im Ausland bekommen.

Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, Whistleblower zu werden?

Es gab nicht das eine Ereignis, das mich dazu brachte. Und eine »Schule« für Whistleblower gibt es auch nicht. Es war vielmehr ein langer Prozess, den ich durchmachen musste, und der mich schließlich dazu trieb, an die breite Öffentlichkeit zu gehen

Wann fing dieser Prozess an?

Zunächst habe ich eine normale Karriere als Wirtschaftsprüfer und Banker gemacht. Auch bin ich Hauptmann in der Schweizer Armee. 1994 bekam ich dann die Möglichkeit, für die Privatbank Julius Bäer auf die Cayman Inseln zu gehen. Ich verdiente damals inklusive Bonus bis zu 220 000 US-Dollar. Doch darum ging es mir nicht. Ich bin ein einfacher Typ, dem eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung ausreicht und der auf den Caymans ein 15 Jahre altes Auto fährt, weil er nicht einsehen kann, warum man unbedingt mit einem teuren Sportwagen herumfahren muss.

Und in dem Offshore-Steuerparadies Cayman ist Ihnen dann ein Licht aufgegangen?

Nicht sofort. Auch zuvor in der Schweiz war mir nicht bewusst, dass die Bank aktiv Beihilfe zu Steuerhinterziehung betrieb. Falls mir in diesem Sinne etwas komisch vorkam, dachte ich, dass die Bank mit den Schweizer Behörden eine Tax-Ruling hatte.

Was ist das?

Das sind Vereinbarungen darüber, wie bestimmte Geschäfte besteuert werden. In Luxemburg gab es dies zum Beispiel mit unzähligen Unternehmen auch, was ja im Rahmen der sogenannten Lux-Leaks-Veröffentichungen für einen internationalen Skandal sorgte.

Noch nicht einmal diese Tax- Rulings gab es?

Nein. Zumindest waren meine Fähigkeiten als Wirtschaftsprüfer nicht mehr so sehr gefragt. Als ich auf den Cayman Inseln 1994 anfing, sagte der Mann, den ich dort ersetzte, einmal zu mir: »Du bist jetzt auf der anderen Seite der Hecke.« Er meinte damit wohl, dass ich die Geschäfte nun nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit hin prüfen sollte, sondern schauen sollte, dass die Geschäfte am Laufen blieben.

Und diese Geschäfte waren nicht immer ganz legal ...

Zunächst war mir nicht klar, was da wirklich alles läuft. Ich war mit Arbeit überladen und mit der Zeit musste ich feststellen, dass mir Informationen als Compliance Officer vorenthalten wurden. Da ging es nicht bloß um Steuerhinterziehung, da liefen zum Beispiel auch Geschäfte, die mit mexikanischen Drogendealern zu tun hatten. Auch sollte ich für Geschäfte den Auftrag erteilen, die bereits sieben Stunden vorher in der Schweiz abgewickelt worden waren. Dies zeigt eindeutig, dass es auf den Caymans nur eine Schattenbuchhaltung gab und die eigentlichen Geschäfte in der Schweiz stattfanden. Damit begann ich, das System zu hinterfragen. Natürlich meldet sich bei einem ehrlichen Wirtschaftsprüfer das Gewissen, wenn man Sachverhalte bestätigen soll, die auf dem Papier anders stehen sollen, als sie eigentlich stattfanden.

Was war Ihre erste Reaktion darauf?

Zuerst habe ich versucht, das Problem intern zu lösen. Ich habe deswegen auch die Schweizer Zentrale kontaktiert.

Was passierte, als Sie die Geschäfte nicht mehr so wie bisher laufen lassen wollten?

Von da an habe ich Drohungen erhalten. Zuerst kamen diese Drohungen von meinen direkten Vorgesetzten auf den Caymans, dann aber auch von dem Schweizer Konzern. Mir wurde beispielsweise gesagt, dass ich einen tiefen Tauchgang machen und nicht wiederkommen sollte. Im Jahr 1999, als ich merkte, dass es kritisch wird, habe ich ein Arbeitszeugnis verlangt. Ich bekam ein Top-Zeugnis. Doch ein Ausdruck passte da nicht rein: Meine Vorgesetzten schrieben, dass ich eine »kritisch denkende Person« sei, dass ich also nicht alles mitmache. Das Ganze eskalierte dann, und als es zu meiner Entlassung kam, musste ich sogar einen Lügentest über mich ergehen lassen. Aber zum Glück hatte ich ein Backup zu Hause.

Was ist das?

Das ist eine Sicherheitskopie, die ich täglich machen musste, falls etwas passiert. Ich hatte nach der Zeit auf den Caymans eine Bandscheibenoperation und gründlich Zeit, diese Kopie zu studieren. Neben den Drohungen von der Bank hat mich damals auch schockiert, was ich da drin fand. Ich saß quasi auf einem Pulverfass. Auf Grund der Geschäfte, die dort dokumentiert wurden, hätte man mich in den USA festnehmen können. Doch letztlich war das Backup für meine Familie auch so etwas wie eine Lebensversicherung.

Damit gingen Sie dann an die Öffentlichkeit ...

Zunächst spielte ich die Daten noch anonym den Schweizer Steuerbehörden zu. Das muss die Bank irgendwie erfahren haben. Die Folge war eben, dass Privatdetektive auf mich und meine Familie angesetzt wurden.

Warum, denken Sie, erhielten Sie damals keinen Schutz von den Behörden?

Weil die krummen Geschäfte, die die Banken betreiben, im Grunde im Staatsinteresse sind. Da hat man als Whistleblower kaum Chancen, auf dem juristischen Wege etwas zu erreichen. Das geht nur auf dem politischen Weg, wenn man an die Öffentlichkeit geht.

Und die Politik will im Grunde nicht, dass da was passiert.

Ja. Auch in der Schweiz ist die Politik beherrscht vom Kapital. Und das Kapital will nicht, dass Herr und Frau Jedermann erfahren, wie es die Gesellschaft über den Tisch zieht. Für die Banken, Großkonzerne und Staaten geht deswegen von den Whistleblowern eine große Gefahr aus, gegen die sie sich mit aller Macht wehren. Und dafür benutzen sie auch die Medien. So jemand wie ich, der sich gegen das System stellt, wird schnell zum Geächteten und Netzbeschmutzer. Er wird diffamiert, pathologisiert, kriminalisiert und am Ende noch ins Gefängnis gesteckt.

In der Schweiz wurden die Strafen für Whistleblower vor kurzem sogar verschärft ...

So wird versucht, Leute zum Schweigen zu bringen. In der Schweiz muss man jetzt für den Verkauf von Daten mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Auf den British Virgin Islands sind es sogar 20 Jahre. Da wird man als Whistleblower zum Schwerkriminellen gemacht. Denn die Steueroasen können sich keine Whistleblower leisten. Das wäre die falsche Botschaft an ihre kriminellen Kunden. Ihr Schwarzgeld etc. wäre dann nämlich in der Schweiz nicht mehr sicher.

Doch zumindest auf der internationalen Ebene tut sich etwas. So soll der automatische Datenaustausch kommen, um Steuerbetrügern schneller das Handwerk legen zu können.

Das ist ein wichtiger Schritt, reicht aber nicht aus. Es ist heutzutage noch viel zu einfach zu verschleiern, wem das Geld auf einem Konto wirklich gehört. Außerdem muss man auch an das Realvermögen heran. Es sind auch in Immobilien, Kunstwerken oder Yachten sehr viele kriminelle Gelder versteckt.

Wie könnte man zumindest Whistleblower besser schützen?

Whistleblower müssen für ihre Informationen Geld bekommen. Zum Beispiel kauft die Züricher Polizei ja auch Drogen, um an die Hintermänner heranzukommen. Und das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat schon Geld für seine Steuer-CDs gezahlt.

Wie viel müsste das sein?

Es müsste genug sein, damit die Whistleblower ruhig davon leben können, bis zumindest ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist. Das sind vielleicht fünf Jahre.

Und was müsste sonst getan werden?

Die Steuerhinterzieher müssen hinter Gitter! Dass Ulli Hoeneß ins Gefängnis musste, ist gut. Doch nicht nur die Hinterzieher müssen zu Haftstrafen verurteilt werden, auch deren Berater. Also auch die Banken und Wirtschaftsprüfer, die diese Hinterziehungsmodelle erst kreieren. Die dürfen sich nicht freikaufen können. Was sind denn schon ein paar Millionen Bußgeld, wenn man jahrelang mit Steuerhinterziehung gute Geschäfte gemacht hat?

Denken Sie, dass dies bald kommen wird?

Die Bevölkerung hätte das sicherlich gerne. Davon bin ich überzeugt. Aber die Politik und die Lobbygruppen, die die Parteien finanzieren, wollen, dass alles beim Alten bleibt. Dies ist nicht nur in der Schweiz so. Weltweit ist Steuerhinterziehung ein Geschäftsmodell, bei dem die Regierungen aus Eigeninteresse mitmachen. Deswegen ist es Staatsräson, dieses System aufrecht zu erhalten.

Doch haben die Staaten in Zeiten horrender öffentlicher Schulden nicht ein eigenes Interesse daran, den Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen?

Dazu kann nur die Gesellschaft sie drängen. Das geschieht, wenn die Menschen verstehen, wie groß der Schaden ist, den die Steuerhinterzieher anrichten und letztlich von Herrn und Frau Jedermann abzudecken ist. Doch dafür ist der Leidensdruck in unserer Gesellschaft noch nicht groß genug. Es muss wohl erst zu sozialen Unruhen kommen, um effektive Lösungen nachhaltig durchzusetzen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal