Ein Massengrab wird präpariert

383 Jahre nach der Schlacht bei Lützen bereitet das Landesmuseum in Halle eine einzigartige Ausstellung vor

  • Thomas Schöne, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.
Krieg ist barbarisch und brutal. Das soll eine Ausstellung im Landesmuseum Halle zeigen. Dafür wurde ein komplettes Massengrab präpariert - die Überreste von 47 Soldaten aus dem Dreißigjährigen Krieg.

Behutsam setzt die junge Frau ein winziges Knochenteil auf den Schädel des Skeletts. Sie ist unzufrieden, positioniert das Teil neu, es sitzt immer noch nicht an der richtigen Stelle. Es dauert eine Weile, trotz ruhiger Hand, dann ist es so weit. »Das Stück passt«, sagt Restauratorin Christine Leßmann. Sie liegt bäuchlings auf einem Arbeitsbrett, etwa 30 Zentimeter unter ihr liegen in mehreren Schichten die Überreste von 47 Soldaten, hastig begraben nach der Schlacht bei Lützen (Sachsen-Anhalt) am 6. November 1632, einer der verlustreichsten des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648).

Auf der Grundlage historischer Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts war nach den sterblichen Überresten gesucht worden. Entdeckt im August 2011, wurde das komplette Grab, 1,10 Meter tief und sechs mal sieben Meter groß, in zwei Blöcken in die Restaurationswerkstatt Halle gebracht und genau untersucht.

Rund 6000 Arbeitsstunden später sind die Arbeiten bis auf wenige Reste abgeschlossen. Hunderte derartiger Knochenbruchstücke hat Leßmann zusammen mit Restauratorin Dorothea Habel in Schädel und Skelette eingefügt. »Aber auch ganze Knochen, insbesondere viele Fingerknochen, die im Grab lose lagen, wurden wieder eingefügt, so dass die Skelette wieder komplett sind«, sagt Habel. Das Ergebnis wird vom 6. November 2015 bis zum 22. Mai 2016 in der Ausstellung »Krieg - ine archäologische Spurensuche« im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle zu sehen sein.

Aufrecht stehend wird das Grab von Lützen in der Ausstellung gezeigt. »Es ist die größte Blockbergung der Welt, welche bislang auf diese Weise präpariert wurde«, sagt der Leiter der Restaurationswerkstatt, Christian-Heinrich Wunderlich. »Ursprünglich wog der Block 55 Tonnen, nach der Präparation sind es immerhin noch zwei Tonnen.« Nach der Ausstellung in Halle soll das Grab in der Nähe der Fundstelle bei Lützen dauerhaft gezeigt werden.

»Es ist diese Authentizität, welche den Betrachter auch nach 383 Jahren das Grauen des Krieges erahnen lässt«, sagt Landesarchäologe Harald Meller zu dem Fund. »Das Leid und die Schmerzen dieser Opfer haben bis heute nichts an Aktualität verloren.«

Die Opfer waren Fußsoldaten, die von Reitern mit Karabinern vom Pferd aus niedergeschossen wurden. »Deutlich zu sehen: die Einschusslöcher in einigen Schädeln«, sagt Leßmann. Auch andere Kriegsverletzungen haben die Experten entdeckt: »Bei einem Soldaten war ein Bein so viel kürzer als das andere, dass er gar nicht laufen konnte, sondern wahrscheinlich immer nur reitend kämpfte«, sagt Kuratorin Anja Grothe. Die Isotopenanalyse der Zähne hat gezeigt, dass die Männer, möglicherweise bis auf zwei, die aus Schweden kamen, aus Mittel- und Norddeutschland stammten. Offenbar wurden sie von den Schweden rekrutiert, was damals nicht ungewöhnlich war. Fleisch und Milch muss es genügend gegeben haben. »Die Lebensmittel kamen entweder von Plünderungen oder der eigenen Herde, die mit dem Tross zog«, sagt Grothe.

»Allerdings fanden sich Vitaminmangelerscheinungen, Parasitenbefall und in zwei Fällen Syphilis«, sagt Anthropologin Nicole Nickisch. Die Toten wurden damals geplündert und ohne Kleidung, Waffen und persönliche Gegenstände bestattet. Die Untersuchungen ergaben: Sie waren alle männlich, der Jüngste 14 und der Älteste 50 Jahre alt. Bislang ist es das einzige Massengrab, das von der Schlacht gefunden wurde. Zu den rund 10 000 Opfern der Lützener Schlacht gehörte auch der schwedische König Gustav II. Adolf (1594-1632).

Das einstige 1,1 Millionen Quadratmeter große Schlachtfeld wird auch weiterhin von Archäologen untersucht. Allein zwischen 2006 und 2009 wurden 3500 Funde aus der Schlacht ausgegraben. dpa/nd

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