Vielfalt statt Einfalt

Der Anbau verschiedener Pflanzensorten hilft, die 
Ernährung bei sich veränderndem Klima zu sichern. 
Sortenrecht und Patente erweisen sich als Hemmschuh.

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 6 Min.

Einst produzierten Bäuerinnen und Bauern ihr Saatgut selbst. Heute machen das in der Regel spezialisierte Betriebe, die mit Saatgutzuchtunternehmen zusammenarbeiten. Zugelassene Sorten müssen homogen sein, und ihr Saatgut muss über mehrere Generationen stabil geliefert werden.

Der Vorteil: höhere Erträge und gezielte Anpassung an Marktanforderungen. Doch Landwirte, die zertifiziertes Saatgut kaufen, zahlen meist zweimal: erst die Lizenzgebühr für Sorten, die unter das Sortenschutzrecht fallen, und dann Nachbaugebühren bei der Wiederaussaat des daraus gewonnenen Saatgutes. Denn die Saatgut-Treuhandsverwaltungs GmbH (STV) verlangt von allen, die Getreide nachbauen, Auskunft darüber, was auf ihren Feldern wächst - obwohl der Europäische Gerichtshof 2004 urteilte, dass Landwirte keineswegs generell zu dieser Auskunft verpflichtet sind. Mehr als 2500 Bäuerinnen und Bauern wurden bereits von Pflanzenzüchtern verklagt, weil sie angeblich ihre Auskunftspflicht verletzt und keine Gebühren gezahlt hatten. Auf diese Weise verdienten Züchtungsunternehmen bereits mehr als 30 Millionen Euro. Nebenbei wird das Saatgut bundesweit erfasst, kartiert und kontrolliert.

Seit Jahren kämpft die Interessengemeinschaft gegen Nachbaugebühren und Nachbaugesetze (IG Nachbau) gegen diese Privatisierung des Saatguts - damit Kleingärtner Kartoffeln auspflanzen können, ohne Gebühren entrichten zu müssen. Der Kampf ist noch nicht entschieden, da droht der nächste Hinterhalt: Mit Hilfe der Terminator-Technologie wird das Erbgut einer Pflanze gentechnisch derart verändert, dass sie Samen produziert, die nicht mehr keimfähig sind. Sollten diese Gentech-Pflanzen den Markt erobern, wäre nicht nur das bäuerliche Recht auf Weitervermehrung ausgehebelt.

Neue Getreidesorten werden in der Regel vom staatlichen Bundessortenamt zugelassen, nachdem sie in Landessortenversuchen auf ihre Anbauwürdigkeit getestet wurden. Diese würden schon heute durch Sparmaßnahmen immer weiter eingeschränkt, kritisiert die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). Sie fordert den Erhalt der unabhängigen Sortenprüfung, um Bauern einen objektiven Blick auf Sorten in ihrer Region zu ermöglichen. Denn gerade in den Landessortenversuchen habe sich gezeigt, dass sich so manches vollmundige Züchterversprechen nicht erfüllt habe. Seit kurzem führt die Kleinwanzlebener Saatzucht AG (KWS) parallel dazu Sortenprüfungen mit Hybridroggen durch. Ein firmeneigenes Prüfsystem soll den in der Wertprüfung befindlichen Sorten einen zeitlichen Vorteil gegenüber staatlichen Stellen verschaffen. So wurden seit Dezember drei neue Hybridroggensorten in einigen EU-Ländern zugelassen. Laut KWS können die Hybridsorten in Deutschland schon in diesem Jahr ausgesät werden.

Hybride bringen Früchte in einheitlicher Größe, Form und Farbe hervor, liefern gleich bleibende Erträge, sind schnell zu ernten und lange lagerfähig. Kurz: Sie bedienen perfekt die Wünsche des Marktes, weshalb sie von Saatzuchtunternehmen massiv beworben werden. Hybridweizen gilt zudem als besonders tolerant gegenüber Trockenstress. Er bringe nicht nur zehn Prozent höhere Erträge, die unter Stressbedingungen sogar stabiler seien, auch die Resistenzzüchtung habe sich vereinfacht, erklärt Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim. Gemeinsam mit deutschen Weizenzüchtern sowie dem Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben startete er kürzlich ein neues Weizenzuchtprojekt: Gesucht werden reinerbige Zuchtlinien, die sich genetisch möglichst stark voneinander unterscheiden. In diesem Zusammenhang sollen auch rund 5000 alte Weizensorten getestet werden. Weizen, bei dem männliche und weibliche Bestandteile in einer Blüte vereint sind, befruchtet sich normalerweise selbst. Um zwei verschiedene Linien kreuzen zu können, muss die Muttersorte »kastriert« werden. Dazu bedienen sich die Forscher chemischer Mittel.

Die guten Anbaueigenschaften der Hybridpflanzen haben freilich einen Nachteil. In den Samen spaltet sich ihr Erbgut wieder auf, die Nachkommen degenerieren. Ein Nachbau ist also nicht ergiebig, sodass die Saatgutfirmen ihr normiertes Hybridsaatgut Jahr für Jahr an Bauern und Gärtner verkaufen können. Ein Milliardengeschäft - welches mit dem Verkauf von Pestiziden und Wachstumsreglern einhergeht.

Dem Zwang des Marktes, gleichförmige Früchte zu produzieren, sind allerdings zunehmend auch Bio-Gemüsegärtner und Getreidebauern unterworfen. Obgleich die meisten Bioverbände Hybride kritisch betrachten, dulden sie deren Anbau - mit Ausnahme von CMS-Hybriden, welche mit Hilfe der gentechniknahen Methode der Zellfusion hergestellt werden. Diese sind von den Bioverbänden ausnahmslos verboten.

Eine Alternative zur marktorientierten Wachstumslogik der Konzerne bietet die ökologische Pflanzenzüchtung. Anhand traditioneller Züchtungsmethoden, basierend auf Kreuzung und Auslese, erzeugt sie vielfältige Sorten in allen Gemüse- und Getreidearten. Doch die Märkte sind bisher so klein, dass Öko-Züchtungen für Saatgutkonzerne uninteressant sind. Denn nicht Quantität und Wachstum stehen im Fokus, sondern die Bedürfnisse der Menschen unter Berücksichtigung regionaler Wertschöpfungsketten. Beispielsweise haben sich biodynamische Weizenzüchtungen in Süddeutschland wegen ihrer guten Backeigenschaften bewährt. Zudem weisen die meisten Bio-Züchtungen gute Resistenzen gegen Gelbrost auf, eine Pilzkrankheit, die letztes Jahr den Weizen flächendeckend befiel. Öko-Pflanzen nutzen optimal das natürliche Potenzial ihres Standortes. Angepasste Fruchtfolgen sorgen dafür, dass sowohl Kohlenstoff im Boden gebunden wird als auch - mit Leguminosen - Stickstoff aus der Luft. So erlaubt der Anbau von Erbsen und Ackerbohnen mehrgliedrige Fruchtfolgen, die wiederum den Befall von Krankheiten und Schädlingen verringern. Zahlreiche Sorten sichern ein breites Spektrum an genetischer Vielfalt. Nicht zuletzt leistet der Öko-Anbau einen Beitrag zu sauberer Luft und unbelasteten Böden.

Der Waldstaudenroggen zum Beispiel, ein zwei Meter tief wurzelndes Urgetreide, verbessert zugleich den Boden, so dass dieser zusätzlich Wasser bindet. Die keimenden Körner sind reich an Kalium, Eisen, Zink, Magnesium und Vitamin B und enthalten immerhin 11,6 Prozent Proteine. »Beim Verbacken gibt es ein basisches, schnittfestes und schmackhaftes Brot«, schwärmt ein Bäcker aus Bayern, der den Ur-Roggen eines benachbarten Biolandhofes verarbeitet. Das Stroh dient als Tierfutter. Mit einer Wuchshöhe von zwei Metern überwuchert er alle Unkräuter. Das Besondere: Nach seiner Mahd wächst das Getreide nach. Im zweiten Jahr ist der Kornertrag sogar noch um 30 Prozent höher. Auch als Untersaat zwischen Obst und Wein wird der Ur-Roggen eingesät. Er kommt sowohl mit Nässe als auch mit Trockenheit bestens zurecht. Was er nicht verträgt: Mineraldünger, Gülle und Mist. Zugegeben - kein Konzern verdient an einem Roggen, der nachwächst und ohne Herbizide und Halmverkürzer auskommt. Dafür leistet die Kulturpflanze einen wertvollen Beitrag auf dem Weg zur Ernährungssouveränität einer Region.

Neben der Züchtung neuer Sorten für den Erwerbsgarten- und -landbau bemüht sich eine Gruppe von Klein- und Hobbygärtnern um die Erhaltung alter Kultur- und Landsorten. Rund 50 Züchtungsinitiativen gibt es in Deutschland, in der Schweiz und Österreich, darunter Dreschflegel, Bingenheimer Saatgut, Saatgutforschung am Keyserlingk-Institut, Arche Noah (Österreich), Kokopelli (Frankreich) und Pro Spezie Rara (Schweiz). Auch die Organisation »Save our seeds« und der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen setzen sich für die Erhaltung vielfältiger Sorten ein.

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