Werbung

Wie ist er so, der Erzeuger?

Das Gericht hat die Rechte von Spenderkindern gestärkt. Doch der Gesetzgeber lässt sich Zeit mit der Umsetzung

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 9 Min.
Mit der anonymen Samenspende ist es vorbei, entschied der Bundesgerichtshof. Die Folgen für Kinder, Familien und Spender aus dem Urteil mit dem Aktenzeichen XII ZR 201/13 sind jedoch unklar.

Annabella A.* hat sich alles gut überlegt. Es ist vielleicht zehn Jahre her, da wünschte sie sich ein Kind. Damals lebt sie allerdings mit einer Frau zusammen, die sich das nicht vorstellen konnte. Gerade war Annabella A. aus dem Schwabenland nach Berlin gekommen. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie zehn Jahre alt war. Und die haben das nicht gut gemacht, sagt die junge Frau. Für sie jedenfalls sei es schrecklich gewesen. Nun braucht sie Distanz und Emanzipation. Legt das Schwäbeln ab, lässt sich tätowieren, und stellt sich vor, wie schön es wäre, Mutter zu sein. Nur sie und das Kind. Einen »Vater« hat sie auch im Auge. Es ist Stefan, ein guter Freund, einverstanden mit der ihm zugedachten Rolle. Er will keine Verantwortung für das Kind, es nur aufwachsen sehen und begleiten. Alles scheint zu passen. Doch es kommt anders.

Als Wunschsohn Leon* geboren wird, geht der Samenspender der selbstbewussten Mutter schon ein wenig auf die Nerven. Zu laut, zu schwer, zu viel, erinnert sie sich. Das Gefühl manifestiert sich in den Folgemonaten. Annabella zieht sich zurück, Stefan ebenfalls. Die Freundschaft hat sich ausgeschlichen, bilanziert sie trocken. An ihrem Glück mit dem Sohn ändert das nichts. Momentan ist er noch zu klein, um zu verstehen, dass der Samen seines Erzeugers den Umweg über einen Becher nehmen musste, um im Bauch seiner Mutter auf eine Eizelle zu treffen. Doch er weiß schon, dass Stefan an der ganzen Geschichte Anteil hat. Will er später mehr wissen, können ihm zwei Frauen antworten. Und genau das haben Annabella und ihre Lebensgefährtin vor. Geheimnisse soll es in der kleinen Familie nicht geben. Und wenn dem Sohn später die Antworten der Mütter, die inzwischen geheiratet haben, nicht genügen, kann er sich auch an den Spender wenden. Das haben Annabella und Stefan so verabredet.

Noch werben Internetportale, auf denen die Herren Blackjack, quyuq, Stefano, Nordsee2015 oder Blackjack ihren Samen offerieren, mit dem Zusatz »anonym, vertraulich, kostenlos«. »Ein neues Leben zu schaffen ist das schönste auf Erden«, schreibt Blackjack. Dass er nur helfen wolle und das nicht tue, weil er Geld brauche. Er sei aus Augsburg, habe aber keine Probleme, auch im Norden oder im Ausland zu helfen. Mit Auto, Bahn oder Flugzeug ginge das heute sehr schnell und günstig. Und quyqu berichtet: »Ich lebe in stabilen Verhältnissen, bin gesund und Beamter im höheren Dienst.« Doch mit der Anonymität ist es vorbei. Kinder, die per Samenspende gezeugt wurden, haben seit einem Urteil von 2013, das im Januar dieses Jahres vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigt wurde, ein Recht auf die Herausgabe der Daten ihrer Spender, die in offiziellen Samenbanken bisher zehn Jahre aufgehoben werden mussten.

Ein Mindestalter für das auskunftswillige Spenderkind ist nicht erforderlich. Minderjährige können über ihre gesetzlichen Vertreter - in der Regel die Eltern - Informationen anfordern. Mit diesem Urteil seien die Probleme deutlich gemacht, findet die Sozial- und Familientherapeutin und Buchautorin Dr. Petra Thorn, aber keineswegs gelöst. In ihrer Praxis in Mörfelden-Walldorf berät sie vor allem Paare und Familien, die über eine Kinderwunschbehandlung nachdenken oder deren Kinder mit einer Samenspende gezeugt wurden. Am Anfang achten die Paare weniger auf die juristischen Implikationen, hat die Therapeutin beobachtet: »Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sind erst einmal in einer Lebenskrise und wünschen sich ein Kind.« Das betrifft nach ihren Zahlen zwischen sechs und neun Prozent aller Paare im fruchtbaren Alter. Hinzu kommen lesbische und alleinstehende Frauen. 10 000 Kinder werden mittlerweile jedes Jahr durch künstliche Befruchtung erzeugt. Viele von ihnen wissen das gar nicht.

Lange galt die Anonymität der Spender als Naturgesetz und Voraussetzung dafür, dass sich neben der Adoption noch eine weitere Rettungsmethode für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch etablierte. Das Thema war heikel und tabubesetzt - schon bei dem heterosexuellen Paar, erst recht aber bei der alleinlebende Frau oder den homosexuellen Partnern. Doch die stillschweigende Übereinkunft, die Dinge besser nicht zu thematisieren, bröckelt. Spätestens seit eine junge Frau dagegen aufbegehrte, den Namen ihres Erzeugers nicht erfahren zu dürfen, und vor Gericht Recht bekam.

Stina vom Verein Spenderkinder ist erst mit 26 Jahren aufgeklärt worden und fühlte sich vollkommen überraschend mit lauter unlösbaren Fragen konfrontiert. Wie konnten sie die Eltern so lange belügen? Warum hatte die Klinik die Unterlagen über ihren biologischen Vater vernichtet? »Wenn ich mit anderen Menschen über Familie spreche, habe ich oft das Gefühl, dass mir dieses eigentlich selbstverständliche Wissen fehlt, wo ich herkomme. Ich möchte wissen, was ich vielleicht geerbt habe und was nur von mir selbst kommt.« Stina fühlt sich veranlasst, ihre gesamte Kindheit noch einmal neu zu bewerten. Noch hat sie »ihren« Samenspender nicht gefunden. Mit der Arbeit bei Spenderkinder.de will sie Betroffenen helfen.

Auch Sunny Müller spürte ihrem biologischen Vater bisher vergebens nach. Als ihr die Eltern mit zehn Jahren erklärten, dass sie nach einer Samenspende zur Welt gekommen war, hatte sie das zunächst beinahe erleichtert zur Kenntnis genommen. »Ich hatte mir schon ausgemalt, ich wäre adoptiert«, erzählt sie. »Es wäre für mich in dem Moment viel schlimmer gewesen, wenn ich nicht im Bauch von meiner Mutter gewesen wäre. Und als es dann darauf hinaus lief, dass es ja nur meinen Papa betraf, dachte ich so, ja was ist jetzt daran so schlimm?« Doch mit den Jahren kamen immer mehr Gedanken und Fragen. Sunny Müller ist jetzt 34 und würde inzwischen ganz gern wissen: »Wie ist er so, hat er noch andere Familien, habe ich noch Halbgeschwister? Würde ich mich mit ihm verstehen oder nicht? Oder würde meine Mutter sich mit ihm verstehen?« Sie hat sich wie viele andere Spenderkinder bei family finder angemeldet, einer us-amerikanischen Firma, bei der man sich mit seiner DNA registriert und auf eine Übereinstimmung mit einem weiteren Registrierten hofft. Im Verein »spenderkinder« will sie mit dafür sorgen, dass Aufklärung betrieben und für Gesetze geworben wird, die Spender vor Unterhaltsforderungen schützen und Kinder ermöglichen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Sunny selbst ist eigentlich nur neugierig. Eine emotionale Bindung mit diesem Mann könnte sie sich gar nicht vorstellen. So ein Wunsch von seiner Seite würde ihr eher Angst machen.

Auch wenn die Mühlen der Bürokratie außerordentlich langsam mahlen, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz schon Wind von den Problemen bekommen, die einige Bundesbürger mit ihrer Abstammung haben.

Ein Arbeitskreis wurde eingerichtet. Er soll der Frage nachgehen, ob das geltende Abstammungsrecht aktuelle Lebensrealitäten noch adäquat abbildet. Elf Sachverständige aus den Bereichen Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik, Medizin und Psychologie wollen in den nächsten zweieinhalb Jahren regelmäßig zusammentreten. »Das, was in dieser Zeit erarbeitet wird, wird eine wertvolle Hilfe sein bei der Prüfung der Frage, ob konkreter gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht und wie er gegebenenfalls umgesetzt werden soll. Da die Zwischenergebnisse den weiteren Verlauf des Arbeitskreises bedingen können und Ergebnisse nicht vorweg genommen werden sollen, bitte ich Sie um Verständnis, dass keine Wasserstandsmeldungen während der zwei Jahre veröffentlicht werden«, teilt das Ministerium dieser Zeitung auf Anfrage mit. Nach übertriebener Eile hört sich das nicht an. Und ebenso wenig nach der Absicht, engagierte Betroffene rechtzeitig in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Zu denen gehört Beate D., verheiratet, zwei Söhne. Ihr Mann kann wegen genetischer Besonderheiten keine Kinder zeugen. Nachdem sich das Paar vor über 18 Jahren zu einer Befruchtung durch eine Samenspende entschlossen hatte, war es gar nicht so einfach, das in die Tat umzusetzen. Fast wären sie deswegen ins Ausland gereist, erzählt Beate D. Schließlich fanden sie einen Arzt in Berlin, der sich ihres Problems annahm. Nach der Erlaubnis einer Ethikkommission und der Auswahl eines Spenders zusammen mit dem Arzt brauchte es vier Versuche, ehe eine Schwangerschaft entstand. Als das Kind geboren wurde, war das ein nahezu unfassbares Glück für beide. »Wir haben sofort gesagt, das machen wir noch einmal«, erinnert sich Beate D. Und so geschah es auch. Die Söhne sind 16 und 12 Jahre alt. Sie wissen um ihre Abstammung, haben Vater und Mutter, die für sie sorgen und nach deutschem Recht besteht an der Zuständigkeit des Vaters auch keinerlei Zweifel, wenn er die Vaterschaft anerkennt und im Standesamt eingetragen ist. Den Samenspender würde Beate D. nicht Vater nennen, sondern Spender. Oder genetischer Vater, das ginge vielleicht auch noch, überlegt sie. »Unter einem Vater versteht man den, mit dem das Kind aufgewachsen ist, der für es gesorgt hat«, erklärt sie. Für ihre Kinder haben Beate D. und ihr Mann vorgesorgt. Sollten diese den Spender kennenlernen wollen, besteht die Möglichkeit. Allerdings wünscht sich die Mutter, dass sie dabei begleitet werden. Erhielten zwölf-jährige Kinder die Daten ihres Erzeugers allein ausgehändigt, hielte sie das für verantwortungslos, der Gesetzgeber müsste dies vorsorglich regeln. Und das ist längst nicht die einzige Frage, die sich im Zusammenhang mit der Samenspende ergibt.

Beate D. arbeitet im DI-Netz mit. Das Netzwerk von Familien nach Samenspende und für Paare und Personen, die den Weg der Spendersamenbehandlung vielleicht gehen wollen, hat gemeinsam mit Dr. Petra Thorn von der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung wichtige Fragen zusammengetragen, die es nach dem Urteil vom 28. Januar im Interesse aller Beteiligten zu beantworten gilt. Zum Beispiel die nach der Aufbewahrungsdauer für medizinische Daten oder die nach der Limitierung der Anzahl der Kinder pro Spender, wie sie in anderen Ländern üblich ist. In einigen gibt es ein Limit von zehn Kindern oder acht bis zehn Familien pro Spender. Dieses Limit kann jedoch nur überprüft werden, wenn die Daten zentral erfasst werden, da ansonsten Männer bei mehreren Samenbanken spenden können. Auch der Schutz von Samenspendern vor Unterhalts- und Erbansprüchen müsse geregelt werden sowie die Frage, ob Kinder, die vor 2007 gezeugt wurden, sich darauf verlassen dürfen, dass die Daten ihres Erzeugers weiterhin aufbewahrt werden.

Ein altersunabhängiges Auskunftsrecht bedeutet, dass die Identität dieser Männer offen gelegt werden muss. Befürchtungen, die Stärkung der Rechte von Samenspenderkindern könnte die Bereitschaft zur Samenspende beeinträchtigen, haben sich Beate D. zufolge nicht bestätigt. Sie hat beim größten Teil der Samenspendebanken nachgefragt und bis auf eine gab es nirgends Probleme.

Beate D. will nicht abwarten, was der Gesetzgeber vielleicht in ein paar Jahren an Regelungen verabschiedet. Sie will mitreden, im Interesse aller, in deren Leben die Samenspende eine Rolle spielt.

*Die Namen sind der Redaktion bekannt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal