Vollgeld soll Island krisenfest machen

Die Regierung des nordatlantischen Inselstaates will das Banken- und Geldsystem des Landes komplett neu gestalten

  • Bengt Arvidsson, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Island erwägt einen radikalen Schritt, um Wirtschaftskrisen zu verhindern. Nur noch der Staat soll Geld schöpfen können. Auch in der Schweiz wird über einen solchen Vorschlag diskutiert.

Das kleine Island fiel 2008 in den wirtschaftlichen Abgrund. Die drei Großbanken der Insel hatten Schulden angehäuft, die rund achtmal höher waren als das Bruttoinlandsprodukt des Landes. Die Banken wurden zwangsverstaatlicht. Dank Tourismus und Fischindustrie rappelt sich das Land derzeit wieder auf.

Um solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden, wartet die bürgerliche Regierung nun mit einem radikalen Vorschlag auf. In einer vom liberalen Ministerpräsidenten Sigmundur Gunnlaugsson in Auftrag gegebenen Analyse wird die Einführung von Vollgeld gefordert. Damit würde den Banken verboten werden, Buchgeld zu schaffen, wenn sie Kredite vergeben. Nur noch die Zentralbank dürfte Geld schaffen.

»Das Ganze muss noch weiter vorbereitet werden, aber ich denke, dass es dafür durchaus eine breite Mehrheit im isländischen Parlament geben könnte«, sagt Frosti Sigurjonsson von der liberalen Fortschrittspartei. »Es ist keine linke oder rechte Initiative, sondern eine pragmatische. Alle Isländer haben sehr unter der Finanzkrise 2008 gelitten. Wir wollen so etwas nicht noch einmal erleben«, so der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses. Er stellte den Bericht zur Einführung von Vollgeld zusammen. Island wäre das erste Land, das so etwas probiert. »Unsere Bankenlobby ist nach dem Zusammenbruch nicht so stark wie in anderen Nationen. Das Volk ist sehr kritisch und an einer sicheren Geldpolitik sehr interessiert«, so Sigurjonsson.

Wirtschaftsnahe Kritiker schelten den Vorschlag freilich als »die Abschaffung des Kapitalismus«. In westlichen Volkswirtschaften ist nur ein geringer Teil des Geldes in den Büchern wirkliches Geld, das von den Zentralbanken ausgegeben wird. Banken verleihen weit über diese Summe hinaus Geld an Unternehmen und Privatpersonen, so genanntes Buchgeld. So schaffen sie neben der Notenbank zusätzliches Geld und bringen es in Umlauf, um über Kreditzinsen Einnahmen zu generieren. Dieses Buchgeld ist aber zum Großteil »aus dem Nichts« erschaffen, wie es im Bericht heißt, und nur zu einem geringen Teil gedeckt. In Island ist man sich weitgehend einig, dass die ungedeckte Buchgeldproduktion der Privatbanken das Land 2008 in den Abgrund gestürzt hat.

Mit der Einführung von Vollgeld würde nur noch die isländische Zentralbank Geld schaffen. Das Parlament würde über die Verteilung entscheiden, genauso wie bei Steuereinnahmen. Banken dürften dann nur noch das Geld verleihen, über das sie wirklich verfügen.

Laut Sigurjonsson hätte das viele Vorteile. Island würde krisensicherer werden, Spekulationsblasen würden vermieden. Bis zu 400 Milliarden Kronen (2,7 Milliarden Euro) könnte der Staat einmalig bei der Umwandlung des fiktiven Buchgeldes der Banken in Vollgeld der Zentralbank verdienen. Bei rund 300 000 Einwohnern ist das nicht wenig. Sichteinlagen von Kunden wären abgesichert.

Das Vollgeldkonzept stammt vom US-Ökonomen Irving Fisher, der Wege zur Vermeidung der großen Depression der 30er Jahre suchte. Kritiker führen an, dass auch Zentralbanken und Regierungen Fehler machen können, und das System deshalb keineswegs krisensicherer sei. Linke Ökonomen warnen vor der gefährlichen prozyklischen Wirkung eines Vollgeldsystems - Konjunkturabschwünge würden erheblich verschärft werden, zulasten von Wachstum und Beschäftigung.

In der Schweiz werden Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt, die die Einführung von Vollgeld fordert. Den theoretischen Hintergrund lieferte der deutsche Wirtschaftsprofessor Joseph Huber, unterstützt wird sie von Anhängern der Linken ebenso wie der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal