Das »Unsterbliche Regiment«

Russland am Tag des Sieges war mehr als die größte Militärparade seiner Geschichte

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
16 000 Soldaten paradierten vor Präsident Putin. Aber weitaus mehr Menschen trugen die Trauer an ihre im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Angehörigen auf Moskaus Straßen.

Bei Gott und der russischen Luftwaffe scheint nichts unmöglich: Sogar Regenwolken kapitulieren bedingungslos und in sicherer Entfernung von der Hauptstadt Moskau, die am Sonnabend den 70. Jahrestag des Sieges mit der bisher größten Militärparade in der Geschichte des Landes feierte. 16 000 Soldaten, knapp 200 Panzer und Geschütze sowie 143 Kampflugzeuge zogen an den Ehrentribünen am eigens für diesen Tag blau verhüllten Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz vorbei; darunter auch Russlands neuer Wunderpanzer Armata.

Eröffnet wurde die Parade von Einheiten in den erdbraunen Uniformen der historischen Siegesparade von Ende Juni 1945. Ihnen wurde das Siegesbanner vorangetragen, das Rotarmisten vor 70 Jahren auf dem Reichstag in Berlin gehisst hatten. Die letzten noch lebenden Veteranen verfolgten dies mit Tränen in den Augen.

Am »modernen« Teil der Parade nahmen auch auf der Krim stationierte Einheiten teil. Mit dem Vorschlag, sogar Verbände der pro-russischen Separatisten in der Ostukraine zuzulassen, sei die »Falkenfraktion« in Moskau indes gescheitert, berichten Insider. Szenenapplaus kassierten dagegen die jüngsten Teilnehmer der Parade: Kadettinnen, die beim Stechschritt light viel Bein zeigten. Ihnen folgten Eliteeinheiten befreundeter Staaten - neben den sechs Mitgliedern des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS auch Kontingente aus Aserbaidschan, China, Indien, der Mongolei und Serbien: die potenzielle Konfiguration eines antiwestlichen Bündnisses, das die unipolare Weltordnung beenden könnte.

Diese hatte Präsident Wladimir Putin in seiner kurzen Ansprache vor Beginn der eigentlichen Parade als Ursache für die Eskalation von Konflikten weltweit und die zunehmende Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht scharf kritisiert. Direkt beim Namen nannte er Washington dabei allerdings nicht. Auch enthielt er sich - wohl mit Rücksicht auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Sonntagmittag zusammen mit dem Kremlchef Blumen am Grabmal des Unbekannten Soldaten niederlegte - aller Spitzen gegen Deutschland und fand sogar lobende Worte für antifaschistischen Widerstand in der Bundesrepublik. Anerkennung ließ Putin auch der »Kampffront gegen den Militarismus in Asien« während des Zweiten Weltkrieges und der Rolle des chinesischen Volkes beim Sieg über Japan zukommen - eine Verbeugung vor dem wichtigsten ausländischen Gast: Xi Jinping, Generalsekretär der KP Chinas und in Personalunion Präsident der Volksrepublik.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Sonntag würdigte Putin den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel. »Es ist kein Geheimnis, dass die russisch-deutschen Beziehungen nicht die besten Zeiten erleben - wegen der Ereignisse in der Ukraine.« Deutschland und Russland hätten aber trotz »Kränkungen und Verbitterungen« den Weg der Versöhnung eingeschlagen, so Putin.

Sichtlich bewegt wandte er sich zuvor an die Veteranen und hob - ohne den Namen Stalin auch nur einmal zu erwähnen - den entscheidenden Beitrag der Sowjetunion zum Sieg hervor. Der Opfer wurde in einer Schweigeminute gedacht. 27 Millionen - jeder siebte Bürger der Sowjetunion, die vor Hitlers Überfall 190 Millionen Einwohner zählte - bezahlten für den Sieg mit dem eigenen Leben.

Eher besinnlich ging es auf den Volksfesten am Nachmittag zu. Militärkapellen intonierten die Lieder des Krieges. Unter ihren Klängen waren auch Zehntausende Moskauer mit Fotos von Angehörigen durch das Stadtzentrum gezogen. »Unsterbliches Regiment« nennt sich der Gedenkmarsch, an dem sich erstmals auch Putin mit einem Foto seines im Krieg schwer verwundeten Vaters beteiligte. Landesweit wurden bei ähnlichen Prozessionen weit über eine Million Menschen gezählt, bei Galakonzerten mehr als zwölf Millionen Zuschauer. Das größte mit Stars der russischen Estrade fand am Samstagabend auf dem Roten Platz statt, gefolgt von einem grandiosen Feuerwerk.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal