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Welt in der Wanne

Theatertreffen: Godot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer in den kleinen Strudel des abfließenden Wassers einer Badewanne schaut, der hat die Weltbewegung erfasst. Den Sog, dem alles Leben folgt und alle Geschichte. Das Trichterloch auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin erzählt ebenfalls davon. Wirkt auch wie ein Krater, der schluckt und gleichermaßen spuckt. Mittelpunkt von Mark Lammerts schräg ansteigendem Spiel-Raum für »Warten auf Godot«, nach dem Tod von Dimiter Gotscheff inszeniert von seinem Regiemitarbeiter Igor Panteleev, nun eingeladen zum Theatertreffen. Fern und ungeheuer oben blakt, blinkt, blendet das Licht einer Straßenlaterne. Oder die Laterne eines Lagers. Befreiung hat Geburtsstätten, Wurzeln, die nicht abzuschütteln sind.

Samuel Finzi und Wolfram Koch als Wladimir und Estragon - und schon erübrigt sich der kritische Verweis auf die ausgeleierte Weltkarriere von Samuel Becketts Klassiker. Der das wurde wegen einer Wahrheit, die so witzig (geblieben!) ist, wie sie elend bleibt: Wir Strebenden, Suchenden sind letztlich nur eine ungewöhnliche Ameisenart im Universum und für die Balance des Kosmos weniger wichtig als die wirklichen Ameisen für die Ökologie des Waldes. Wie Koch und Finzi versuchen, einen Mantel zu tauschen, wie sie sich gegenseitig ins Denken stoßen wie in eine Fallgrube, wie Finzi reden und reden will und Koch nicht zuhören mag - das ist herzfüllende, pantomimisch aufgeladene Komik angesichts einer Aussichtsleere, die wie ein Tumor in uns wächst. Tumor ist, wenn man trotzdem lacht.

Christian Grashof und Andreas Döhler spielen Pozzo und Lucky, das Herrundknecht-Duo. Grashof als Feinpinkel, Döhler blaffend. Jener Krieg Oben gegen Unten, der ganze dichterische, theoretische Lebenswerke füllt - hier ist er ein kurzes Clownsspiel, das all die nicht totzukriegenden Klassenkampfzausel aus Geschichte und Gegenwart und deren Parolenpomp ad absurdum führt, irgendwie so, wie man Asche von einer Zigarrenspitze schnippt. Luckys Hut gibt es nicht, und doch ist er da: ein unsichtbarer Tennisball für Finzi und Koch. Ping Pong. Man kann auch an Knochen nagen, die gar nicht da sind, man kann mit allem spielen, das nicht existiert. Mit allem, das gemeinsam das Nichts bildet. Und schon ist das Nichts bevölkert. Und ist von einer Lächerlichkeit, darin unsere Heimatlosigkeit als Trauer strahlen kann. Trauer, ja, die liegt wie ein dunkler Himmel über diesen zwei Stunden. Utopia? Wir sind gestartet und wissen es nicht. Wir sind gestrandet und begreifen auch dies nicht. Man kommt nicht los, man kommt nicht an, man kommt nicht klar. Gott? Wer die Macht hat, bringt seine Götter mit, wer sie verliert, lässt die Götter so fallen wie die Menschen. Nunmehr wieder auf einen Gott zu warten, der vor allem eines tut: auf nichts und niemanden zu reagieren - das gibt immerhin ein fantastisches Gefühl von Freiheit. Und das Tuch, das die Bühne bedeckte, verschwindet Stück um Stück im Bodentrichter. Wie das Wasser in der Badewanne. Dass man da nicht nur an Loriot, sondern auch an Beckett denken kann, ist ein Sieg zeitenübergreifender Weltwahrnehmung - die Zukunft hat.

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