Schulbehörde schwingt Zensorenhammer

Ein ganz normaler Zeitungsbericht über Proteste gegen Niedersachsens Kultusministerin darf nicht auf der Schul-Homepage stehen - hat diese die Weisung etwa selbst erteilt?

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Zeitungsbericht über Schülerprotest gegen Niedersachsens SPD-Kultusministerin musste von der Homepage des Gymnasiums Brake verschwinden. Diese Weisung der Schulbehörde löste Empörung aus.

«Wertvorstellungen im Sinne des Grundgesetzes» soll jungen Menschen im Unterricht vermittelt werden. Dies verlangt Niedersachsens Schulgesetz. Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit gehören dazu. Wie schnell solch hehre Begriffe ad absurdum geführt werden können, hat nun ausgerechnet Niedersachsens Landesschulbehörde vorexerziert. Ihre Regionalabteilung Osnabrück befahl am Freitag dem Gymnasium in der Weserstadt Brake, es möge von seiner Homepage einen Presseartikel entfernen, in dem von Kritik an der Kultusministerin zu lesen ist.

Nicht etwa böse Zeilen aus einer Schülerpublikation mussten gelöscht werden, sondern ein Bericht der Nordwest-Zeitung (NWZ) über den Besuch von Frauke Heilgenstadt und über den ihr geltenden Protest von rund 1000 Gymnasiasten. Parallel zur Tilgungsanweisung bestellte die Schulbehörde den Leiter des Gymnasiums zu einem Dienstgespräch ein.

Unter der Schlagzeile «Buhrufe in Brake für Kultusministerin» hatte die NWZ geschildert, was die Gymnasiasten skandierten: «Heiligenstadt - wir haben's satt». Die Ministerin musste sich das anhören, als sie zum Besuch der Integrierten Gesamtschule in Brake eintraf. Die IGS liegt gegenüber dem Gymnasium. Dessen Schüler protestierten unter anderem deshalb, weil sich befürchten, ihr Abitur könne abgewertet werden, da die rot-grüne Landesregierung die Gesamtschulen, an denen man ebenfalls das Reifezeugnis erlangen kann, zunehmend aufwerte. Auch gebe es zu wenig Lehrerstellen, monieren die Gymnasiasten. Ihr Unmut entzündet sich des Weiteren am Boykott der Klassenfahrten, mit dem ihre Lehrer gegen die von Heiligenstadt durchgesetzte Erhöhung der zu leistenden Wochenstunden protestieren.

Empfand die Schulbehörde das Erwähnen solcher Kritik auf einer Schul-Hompage als Unbotmäßigkeit gegenüber der obersten Chefin? Oder hatte Frauke Heiligenstadt gar höchstpersönlich das Entfernen des Artikels initiiert? Viele Gymnasiasten in der 15 000-Einwohner-Stadt Brake glauben das. Nein, hat sie nicht, heißt es aus dem Ministerium. Die NWZ hat bei der Schulbehörde nach den Gründen für die Tilgungsorder gefragt und zitiert die Antwort: Die Darstellung auf der Internetseite des Gymnasiums sei «mit der Funktion der Homepage einer staatlichen Schule und dem damit verbundenen Auftrag der Öffentlichkeitsarbeit einer Schule nicht vereinbar». Zudem dürfe eine Schule nicht «gegen das Mäßigungsgebot verstoßen». Mit der Beschränkung von Meinungsfreiheit habe das Entfernen des fraglichen Artikels nichts zu tun.

Doch, meint Björn Thümler, Fraktionschef der CDU in Niedersachsens Landtag. Das Handeln der Behörde sei inakzeptabel. Es widerspreche dem Ziel, Schüler zu Persönlichkeiten zu erziehen, die ihre Meinung vertreten können. Offenbar dulde das Kultusministerium die Zensur in Brake. Frauke Heiligenstadt könne mit Kritik nicht umgehen und gebe den Schülern damit ein denkbar schlechtes Vorbild, schimpft Thümler. Selbst in Heiligenstadts eigener Partei stößt der Löschbefehl auf Kritik. Das bestätigt auch Marcel Schmikale, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Brake. «Das ist absolut nicht in unserem Sinne, was da gelaufen ist», betont er gegenüber «nd». Es müsse geklärt werden, wer die Anordnung zum Entfernen des Artikels erteilt hat und warum. Dass es die Ministerin selbst war, kann sich der Kommunalpolitiker nicht vorstellen. Denn, so Schmikale: «Das wäre schon ein Ding aus dem Tollhaus.

Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass der NWZ-Artikel wieder auf die Homepage der Schule darf. Das habe sie nach einem Gespräch mit der Landesschulbehörde verfügt, teilte Heiligenstadt mit und bekundete: »Kritische Berichterstattung gehört zum Alltag einer Ministerin.«

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