Von lila Kühen und gelben Enten

Deutsche Schüler haben ein diffuses und verklärtes Naturbild

Wie man einen Computer bedient oder per Handy eine SMS verschickt, weiß heute jeder Grundschüler. Für die belebte Natur hingegen, die Welt der Pflanzen und Tiere, bringen deutsche Kids immer weniger Interesse auf. Und auch ihre Kenntnisse über die heimische Flora und Fauna sind alles andere als befriedigend.
Zu diesem ernüchternden Resultat kommt der unlängst veröffentlichte »Jugendreport Natur 2006«, der auf einer repräsentativen Befragung von über 2000 Schülern der Klassenstufen 6 und 9 in Nordrhein-Westfalen beruht. Sowohl in der Stadt wie auch auf dem Land, betont der Leiter der Studie, der Marburger Soziologe Rainer Brämer, »gehen die Jugendlichen zunehmend auf Distanz zur realen Natur«.
Der Unterschied zu früheren Schülergenerationen könnte damit größer nicht sein. Denn in der Vor-Hightechzeit waren die meisten Mädchen und Jungen im Alter zwischen 12 und 15 kaum zu bewegen, ihre Freizeit zu Hause zu verbringen. Nach der Schule und in den Ferien strebten sie ins Freie und erlebten mithin die Natur hautnah. Heute hingegen sitzen die 12- bis 15-Jährigen täglich vier und mehr Stunden vor dem Computer - oder vor dem Fernseher. Was sie dort etwa über Tiere erfahren, hat mit der Wirklichkeit oft wenig gemein. Das konnte Brämer schon im »Jugendreport Natur 1997« feststellen: Zwischen 30 und 70 Prozent der befragten Grundschulkinder waren damals fest überzeugt, dass Enten gelb seien. Ein Prozent schrieb Kühen sogar eine lila Färbung zu.

Unwissen über biologische Zusammenhänge
Nach der neuen Studie hat ein Drittel aller 12- bis 15-Jährigen noch nie einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand gehabt. Jeder Vierte bekennt zudem, nicht zu wissen, wie ein Reh in freier Wildbahn aussieht. Damit nicht genug fehle bei vielen Jugendlichen das Wissen um biologische Zusammenhänge, sagt Brämer. Dass etwa Rosinen getrocknete Trauben sind, war für mehr als 50 Prozent der Befragten eine neue Erkenntnis. Mit Erstaunen registrierten viele Schüler auch, dass es sich bei Bioäpfeln und Tiefkühlspinat um Naturprodukte handelt, und dass Sahne und Pudding aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden.
Als Auftraggeber des Jugendreports beklagen der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) nicht nur die mangelnde Sachkenntnis der Schüler. »Fehlende Erlebnisse im Freien führen auch zu einem diffusen, teilweise verklärten Naturbild«, meint DJV-Präsident Wolfgang Borchert. So sehen es laut Studie acht von zehn Schülern als verboten an, Käfer, Frösche oder Würmer überhaupt anzufassen. Jeder zweite Befragte glaubt überdies, dass im Wald keine Blumen oder Beeren gepflückt werden dürfen. Das heißt: Für viele Schüler ist die Tier- und Pflanzenwelt gleichsam etwas Heiliges und der Mensch darin nur ein Störfaktor. Sie lehnen daher nicht nur die Jagd, sondern auch die Bewirtschaftung des Waldes kategorisch ab.
Die Studie zeige einmal mehr, urteilt Marie-Luise Fasse vom nordrhein-westfälischen Landesverband des SDW, »dass die seit Jahren propagierte Erziehung zur Nachhaltigkeit weitgehend wirkungslos geblieben ist«. Auf die Frage, was sie mit dem Begriff Nachhaltigkeit verbinden, antworteten 20 Prozent der Jugendlichen: Gar nichts. 54 Prozent meinten, dass Nachhaltigkeit bedeute, keinen Müll in die Landschaft zu werfen. Danach zu handeln ist zwar lobenswert, hat mit Nachhaltigkeit allerdings wenig zu tun, im Gegensatz zur Trennung des Mülls, die nur 24 Prozent nannten.
Dass Naturschutz und Naturnutzung kein Widerspruch sein müssen, wie viele Jugendliche glauben, zeigt insbesondere die nachhaltige Waldbewirtschaftung, die Förster und Jäger in Deutschland schon vor über 200 Jahren eingeführt haben. Dabei wird dem Wald nur so viel entnommen wie langfristig wieder nachwachsen kann. Auf diese Weise verhindert man, dass die Wälder immer weiter zerstört und die Wildbestände bedrohlich dezimiert werden.

Naturerkundung als Unterrichtsthema
Obwohl viele junge Menschen die Natur »bambihaft verniedlichen« und zu einer »übertriebenen Waldmoral« neigen, wie Brämer sich ausdrückt, frönen sie wie keine Generation zuvor dem Konsum. Nur: Dass drastische Eingriffe in die Natur nötig sind, um Massengüter wie Computer oder Handys herzustellen, wissen die wenigsten. Und manche nehmen es durchaus billigend in Kauf. Will sagen: Viele Jugendliche vergessen rasch ihr hehres Naturbild, sobald es um ihre eigenen Konsumwünsche geht.
Dass Schüler im Biologieunterricht systematisch in die Grundlagen der Evolutionstheorie und Genetik eingeführt werden, ist zweifellos richtig. Nur sollte dabei das unmittelbare Naturerlebnis nicht gänzlich unter den Tisch fallen. »Die Jugend muss die heimische Natur wieder verstärkt mit allen Sinnen entdecken, denn nur was wir kennen, können wir richtig schützen«, meint Borchert, der sich mit seinen Kollegen vom Deutschen Jagdschutz-Verband seit 15 Jahren in der außerschulischen Bildungsarbeit engagiert. Etwa in der Initiative Lernort Natur. Hierbei entdecken jährlich rund 150 000 Kinder zwischen drei und zehn Jahren den heimischen Wald unter Anleitung von erfahrenen Forstleuten.
Wie man Jugendliche vom Computer weg in die freie Natur lockt, demonstriert seit den 90ern auch die Zeitschrift GEO. Sie veranstaltet jedes Jahr im Sommer den Tag der Artenvielfalt, bei dem alle Teilnehmer aufgefordert sind, in einem selbst gewählten Gebiet möglichst viele Tier- und Pflanzenarten aufzuspüren. In diesem Jahr nahmen daran mehr als 20 000 Menschen aller Altersgruppen teil. 48 Schülerteams wetteiferten zudem um den Hauptpreis der Jury, den die Klasse 3c der Friedrich-Ebert-Grundschule in Luckenwalde gewann. Die Schüler hatten die Natur rund um ihre Schule erkundet.
Inzwischen gilt der Tag der Artenvielfalt als die größte Feldforschungsaktion in Mitteleuropa, bei der jedes Jahr auch zahlreiche verschollen geglaubte Arten wiederentdeckt werden. Nicht zuletzt von Jugendlichen, die dabei erleben, dass die Erkundung der Natur eine höchst spannende Angelegenheit ist. Der nächste Tag der Artenvielfalt findet übrigens am 9. Juni 2007 statt. Interessierte Lehrer und Schüler finden nähere Hinweis...

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