nd-aktuell.de / 12.05.2015 / Kultur / Seite 15

Nur nicht erschrecken

»The Canterville Ghost«

Joachim Lange

Roggero Leoncavallos »Bajazzo« ist toll, aber zu kurz für einen Abend. Meistens wird der Verismo-Schmachtfetzen mit Mascagnis »Cavalleria rusticana« kombiniert. In der Oper Leipzig gibt es jetzt den von Gordon Getty (81) neu komponierten Einakter »The Canterville Ghost«, mit dem nach der »Salome« noch eine Oscar-Wilde-Erzählung zu Einakter-Ehren kommt. Da versucht ein Schlossgeist, die neuen amerikanischen Hausherren das Gruseln zu lehren. Klappt aber nicht. Wenn die Ketten rasseln, bieten die Amerikaner Schmieröl an. Wo der Blutfleck leuchtet, hilft Putzmittel. Der Nachwuchs im Hause Otis gibt selbst mit Vorliebe das Gespenst. Es ist zum Erbarmen.

Der US-Amerikaner Getty hat das mit einem romantisierenden Parlando vertont. Ihm geht es damit (bewusst) wie dem Geist in der Geschichte - keine Verblüffung oder gar Erschrecken vor etwaiger Neutönerei. Nirgends.

Bei dieser Uraufführung hätte der Komponist sein Gespenst lieber mit seiner eigenen Oper »Der Untergang des Hauses Usher« nach Edgar Allan Poe auf der Bühne gesehen. Dass er sich dennoch auf den Vergleich mit dem Welthit »Bajazzo« einlässt, spricht für ihn und seine erklärte Sympathie für Leipzig, die Stadt seiner musikalischen Idole. Dabei könnte sich Milliardär Getty notfalls ein Festspielhaus für seine Opern bauen lassen. Das Kleingeld dafür hätte der Sohn des US Öl-Magnaten Jean Paul Getty.

Bei Regisseur Anthony Pilavachi und Ausstatterin Tatjana Ivschina gibt es für die nette, familientaugliche Spukgeschichte eine opulente Portion von romantischem Realismus - Marke very british - hinter toller Fassadenkulisse mit Bibliothek, Speise- und Schlafzimmer und Turmgemäuer fürs Hausgespenst. Matthew Treviño ist der Canterville-Ghost, der von der mitfühlenden Virgina Jennifer Porto erlöst wird.

Nach der Pause reicht ein grauer Vorplatz für die Eifersucht des alternden Schauspielers Canio (Raymond Very mit Melone und Oberlippenbart), die Liebelei seiner Nedda (deftig lebensdrall: Marika Schönberg) mit dem Fremden und die fiese Intrige des schmierigen Tonio, der Nedda nachstellt. Bei der von einer Hochzeitsgesellschaft bestellten Aufführung der Geschichte vom Bajazzo und jener Colombine, die ihrem Mann Hörner aufsetzt, fällt Canio aus der Rolle direkt ins Leben - und Nedda seiner Eifersucht zum Opfer.

Das Gespensterschloss in England und der Dorfplatz in Italien liegen weit voneinander entfernt. Einen gemeinsamen Nenner gibt es allenfalls, wenn man die beiden Titelhelden als zwei unterschiedliche Exemplare eines sensiblen Künstlers sieht, der sich in seiner Existenz bedroht fühlt. Matthias Foremny gibt am Pult des Gewandhausorchesters den lustbetonten Museumsführer. Am Ende heißt es nur noch: »La Commedia è finita.«

Nächste Vorstellung: 14. Mai