nd-aktuell.de / 15.09.2006 / Politik

Grundrechte in Belgien auf Prüfstand

Revisionsverfahren gegen Menschenrechtsaktivisten

Peter Nowak, Gent
In einem Verfahren der belgischen Justiz gegen Bürgerrechtler geht es um die Konsequenzen des »Antiterrorkampfes« für die politische Arbeit.
Im belgischen Gent zeigte die Polizei am Montag massive Präsenz. Vor dem Gebäude des Revisionsgerichts standen besonders viele Beamte. Dort hatte ein Berufungsverfahren gegen elf Aktivisten aus der Türkei begonnen. Seit vielen Jahren leben diese in Belgien und engagieren sich dort in linken Exilorganisationen. Deshalb waren sie im April zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Jetzt geht das Verfahren in die zweite Runde. Zu den Angeklagten gehört Sükriye Akar. Ihr Mann befindet sich seit 2001 in einem der damals neu errichteten Isolationsgefängnisse in der Türkei. Akar beteiligte sich in den letzten Jahren an Kampagnen für die Verbesserung der Situation der politischen Gefangenen in dem Land. Im Rahmen dieser Aktivitäten führte sie auch zahlreiche Gespräche mit Abgeordneten des EU-Parlaments und organisierte Kongresse zur Situation der Menschenrechte in der Türkei. Dabei bewegte sie sich streng im Rahmen der belgischen Gesetze, wie ihre Anwälte immer wieder betonten. Dennoch sitzt Akar seit mehreren Monaten im Gefängnis von Brügge in Untersuchungshaft. Vom Ausgang des Verfahrens in Gent wird abhängen, ob Akar und die anderen Angeklagten für Jahre im Gefängnis bleiben müssen oder wieder auf freien Fuß kommen. Für den belgischen Rechtsanwalt Jan Ferman geht es aber um noch mehr: »Hier wird sich erweisen, ob legale politische Arbeit, wie das Organisieren von Kongressen, das Drucken und Verteilen von Flugblättern und das Abhalten von Pressekonferenzen noch als Menschenrechtsarbeit oder schon als Terrorismus gilt«, erklärte er. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft würden die Angeklagten mit ihrem Engagement die türkische Organisation Revolutionäre Volksbefreiungsfront unterstützen. Diese ist zwar in Belgien nicht verboten, steht aber auf den Listen »terroristischer Gruppierungen« der USA und EU. Daher sollen die Beschuldigten ebenfalls wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden. Nicht nur die Anwälte befürchten vor diesem Hintergrund eine Einschränkung der Grundrechte in Europa. So waren zahlreiche Menschenrechtler aus dem Ausland nach Gent gereist. Der angeklagte Archäologe Bahar Kimyongür hatte sich das Zeichen der politischen Gefangenen aus der Zeit des Faschismus, den roten Winkel, an die Jacke geheftet, bevor er den Gerichtssaal betrat. »Damit will ich dazu aufrufen, den Anfängen der Meinungsunterdrückung zu wehren«, begründete er die umstrittene Aktion.