Große Koalition der Privatisierer

Sozialdemokratische Kampagne zur Sicherung der Daseinsvorsorge erweist sich als Luftblase

  • Sahra Wagenknecht
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Im Europaparlament steht derzeit eine Rahmenrichtlinie über Dienste von allgemeinem Interesse zur Debatte. Dabei schwenkten die Sozialdemokraten auf konservativen Kurs ein.

Laut war es verkündet worden: Die europäischen Sozialdemokraten werden sich für ein EU-Rahmengesetz einsetzen, mit dem die Leistungen der Daseinsvorsorge vor Privatisierung und rüdem Wettbewerb geschützt werden sollen. Um diese Absicht bekannt zu machen, wurde im Frühjahr eine groß aufgemachte Kampagne gestartet. Nach dem Komplett-Umfall in der Frage der Dienstleistungsrichtlinie schien diese Maßnahme zur Rückgewinnung eines »sozialen Images« offenbar dringend geboten. Der im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments mit dem Bericht zum Thema betraute SPD-Europaabgeordnete Bernhard Rapkay tönte in gleicher Manier. Das war gestern. Nach der Abstimmung des »Berichts Rapkay« im Wirtschaftsausschuss zu Wochenbeginn sieht alles ganz anders aus. Bereits im Vorfeld hatten sich Sozialdemokraten und Konservative in allen wesentlichen Fragen auf Kompromissformeln verständigt. Man sieht auch hier: Die große Koalition in Berlin hat Brüssel längst erreicht. So findet sich nunmehr die ursprüngliche Forderung nach einem »Rechtsrahmen für öffentliche Dienstleistungen« verstümmelt und ganz an den Rand gerückt in der »Aufforderung an die Kommission (...) in Form von Beschaffungsrichtlinien oder in einer Verordnung die relevanten Kriterien zu regeln«. Stattdessen kann man im Bericht des Sozialdemokraten Rapkay lesen, dass die bisherigen »sektorbezogenen Regulierungen ein Erfolg waren und dieses Verfahren in weiteren Bereichen zur Anwendung kommen soll«. Gemeint sind damit, wohlgemerkt, die bereits erfolgten Liberalisierungen und Privatisierungen im Bereich Post und Telekommunikation, Energie und Bahn, deren katastrophale Auswirkungen auf Preisentwicklung und Arbeitsplätze heute auf der Hand liegen. Ausdrücklich wird eine weitere »sektorspezifische Regulierung im Sozial- und Gesundheitsbereich« gefordert. Das ist kein Zufall. Just diese Bereiche sind nach massivem Widerstand (weitgehend) aus der Dienstleistungsrichtlinie ausgeklammert worden. Sehr zum Ärger der Konzernlobby, die großes Interesse daran hat, auch hier das Profitprinzip zur ungehinderten Durchsetzung zu bringen. Die Aussagen im Bericht Rapkay dürften sie freuen. Der sozialdemokratischen Kampagne zur Sicherung der Daseinsvorsorge ist also, kaum gestartet, bereits die Luft ausgegangen. Ohnehin sind Zweifel angebracht, ob das vorgeschlagene europäische Rahmengesetz überhaupt ein geeignetes Mittel zur Verteidigung der Daseinsvorsorge gewesen wäre. Der Entwurf für ein solches Gesetz müsste immerhin von jener Europäischen Kommission vorgelegt werden, die mit der Dienstleistungsrichtlinie oder ihren Attacken gegen die öffentlichen Sparkassen ihre Privatisierungs- und Deregulierungswut eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Wer ausgerechnet von dieser Kommission den Schutz vor weiteren Liberalisierungen erwartet, macht den Bock zum Gärtner. Hinzu kommt: Es ist schon nicht leicht, bei drohenden Privatisierungen massiven Widerstand gegen nationale Behörden zu organisieren. Ungleich schwerer aber ist es, die Kommission durch entsprechende Aktionen unter Druck zu setzen. Gerade deshalb funktioniert Brüssel ja bisher so perfekt als neoliberaler Motor der EU. Um die Harmonisierung der Standards muss man dort kämpfen, wo der Binnenmarkt grenzüberschreitend existiert. Wir brauchen eine europäische Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne und Vermögen; dringend nötig ist ein europäischer Mindestlohn und eine Angleichung der Sozialstandards auf dem oberen Niveau. Die Daseinsvorsorge aber hat nichts im kapitalistischen Binnenmarkt zu suchen. Da, wo sie seinen Gesetzen unterworfen wurde, sind die Ergebnisse verheerend. Wer es ernst meint mit dem Kampf gegen den Ausverkauf öffentlicher Leistungen, muss darum ringen, diese Entwicklung zurückzunehmen statt sie weiter zu forcieren. Die europäischen Verträge bieten dafür ausreichende Rechtsgrundlagen. Dazu zählt vor allem das...

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