Die eigenen und die anderen Erfahrungen

  • Felicitas Weck
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Die Gestaltung einer neuen linken Partei ist mit Fragen verbunden, auf die nicht von allen die gleichen Antworten gefunden werden. Die neue Linke will sich als Sammlungsbewegung von Menschen unterschiedlicher politischer und sozialer Herkunft verstehen, die für mehr soziale Gerechtigkeit streiten. Soziale Gerechtigkeit meint dabei nicht nur Verbesserungen der Lebensumstände von ALG II -EmpfängerInnen, gleiche Bildungschancen für MigrantInnenkinder oder die Einführung eines gerechten Steuersystems, sondern muss auch die Suquami-Weisheit umfassen: »Wir haben die Welt nur von unseren Kindern geborgt.« Diese muss viel weiter ausgelegt werden, als die Grünen es je taten. Um die Zukunft der Gesellschaft menschlicher zu gestalten, kämpfen wir geschlechterdemokratisch und antipatriarchal für generationsübergreifende soziale Gerechtigkeit, einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen sowie eine intensive Demokratisierung aller Lebensbereiche. Die Definition dessen, was heute links ist, differiert nach kultureller Herkunft und sozialer Erwartung, Tradition und persönlicher Erfahrung. Arbeiter- und Frauenbewegung, Gewerkschaften, Antira- und Antifa-Gruppen, MigrantInnen, Lesben und Schwule, sie und viele mehr haben Meilensteine gesetzt, haben Einfluss auf Menschenrechte genommen, sie erweitert und ergänzt. Aus dieser Pluralität wird sich die neue Linke bilden. Die programmatischen Eckpunkte, der Aufruf zur Gründung einer neuen Linken und der Aufruf aus der PDS, die Manifeste der antikapitalistischen, emanzipatorischen, sozialistischen Linken sind geschrieben, die Duftmarken gesetzt. Jetzt ist es an der Zeit, die überlappenden Reviere auszumachen und festzuschreiben, angrenzende Gebiete zu benennen und Alleinansprüche zu hinterfragen. Von allen Erfahrungen zu lernen macht den Reiz einer gemeinsamen Programmdiskussion aus. Wobei weder eigene Erfahrungen über- noch andere Erfahrungen unterschätzt werden dürfen. Die Verteidigung öffentlichen Eigentums gegen international agierende Heuschrecken darf nicht dazu verleiten, den Reformbedarf staatlichen Wirtschaftens zu übersehen. Erfahrungen mit staatssozialistischem Eigentum dürfen nicht dazu führen, der Privatisierung des öffentlichen Eigentums den Steigbügel zu halten. Immer noch wird die Politik der Privatisierung von Medien und etablierten Parteien erfolgreich propagiert. Der Widerstand dagegen ist heute vielfach noch punktuell und bundesweit wenig wahrnehmbar. In der Politik aller Ebenen ist es inzwischen üblich geworden, sich hinter Gutachten zu verstecken. US-Investmentbanken wie Morgan Stanley und Merrill Lynch, Wirtschaftsprüfer wie Price Waterhouse Coopers, Unternehmensberater wie McKinsey entwerfen positive Szenarien für die Politik und gestalten hinterher die Vertragsbedingungen für die Investoren. Die Folgen sind bekannt: ParlamentarierInnen und kommunale MandatsträgerInnen entscheiden praktisch blind über geheimgehaltene Verträge und entmachten sich so selbst. Hier gilt es aufzuklären und Widerstand zu organisieren. Eine Linke die erst dann handelt, wenn öffentliches Eigentum zum Verkauf steht, handelt zu spät. Die neue Linke muss für eine Politik stehen, in der gewählte PolitikerInnen die staatliche und kommunale Verantwortung für die Daseinsvorsorge tragen, für Bildung und Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, für Stadtentwicklung und Wohnungen, öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie für wichtige Teile der Kultur. Öffentlicher Dienst ist kein Selbstzweck sondern gestaltet die Lebensumstände aller EinwohnerInnen. Ein Abbau dieser Stellen schafft den Raum für weitere Privatisierungstendenzen und vergrößert die Arbeitslosigkeit. Ein Großteil dieser Forderungen ist unumstritten. In Frage gestellt wird nur das WIE. Schließt die Gewährleistungspflicht der Qualität der Daseinsvorsorge die Pflicht des Staates ein, diese Aufgabe selbst wahrzunehmen oder kann sie übertragen werden? Insbesondere die Kommunen stehen unter großem finanziellen Leidensdruck. Zins und Tilgung nehmen einen einen wachsenden Anteil an ihren Ausgaben ein. Im Bemühen, Spielräume zu erweitern, drängen die Kämmerer darauf, das kommunale Tafelsilber zu verscherbeln und mit den Erlösen die Haushaltslage zu verbessern. Zurzeit sind gerade die Wohnungsbaugesellschaften an der Reihe und es gibt genügend interessierte Investoren. Die Veräußerung staatlichen Eigentums zur Sanierung mag aus kameralistischer Sicht ein erster Weg in die Gesundung sein. Die Nebenwirkungen aber zeigen sich bei der Betrachtung durch die wirtschafts- und sozialpolitische Brille. Ungehemmte Privatisierung erhöht die sozialen Folgekosten und vermindert damit die erhofften finanziellen Spielräume. Knappen Kassen darf nicht die Sicht auf die Ursache einer verfehlten Politik verstellen. Wir brauchen eine Finanz- und Steuerpolitik, die es dem Staat ermöglicht, seinen Aufgaben nachzukommen. Hohe Einkommen und große Vermögen müssen an der Finanzierung der Staatsaufgaben angemessen beteiligt werden. Schon eine fünfprozentige Besteuerung der reichsten Deutschen brächte jährlich rund 100 Milliarden Euro. Es wird die Aufgabe der Linken sein, in einer umfassenden Debatte zu klären, wie gesellschaftliche Verantwortung in öffentlicher Hand zurückzugewinnen und zu erhalten ist. Am letzten Wochenende hatten die Menschen in Niedersachsen die Wahl. Sie haben sie nicht angenommen. Eine Wahlbeteiligung unter 50 Prozent zeigt, dass bei den WählerInnen angekommen ist, dass die drei Kreuzchen auf dem Wahlzettel immer weniger Einfluss haben auf die Höhe der Müllgebühren, den Strompreis oder die Kita-Gebühr. Mehr als 120 kommunale Mandate für die neue Linke aus WASG und Linkspartei.PDS in Niedersachen sind dennoch ein Ergebnis, auf das wir stolz sein können. Die vernichtend geringe Wahlbeteiligung ist jedoch auch ein Indiz dafür, dass die neue Linke noch nicht in der Bevölkerung angekom...

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