nd-aktuell.de / 16.05.2015 / Kultur / Seite 22

Süchtig nach Lob

Über die Nähe von Helden, Rettern und Mördern

Schmidbauer

Zu Beginn des Jahres 2015 haben wir beunruhigende Einblicke in das menschliche Ur-Bedürfnis nach Lob und Anerkennung erlebt. Es begann relativ trivial mit dem Hollywood-Streifen über einen Scharfschützen, der in Irak 160 Menschen erschossen hat. Die Kamera blickt durchs Zielfernrohr auf eine Trümmerstadt in Irak. Unten rücken die Marines vor, oben auf einem Dach liegt Chris Kyle und beherrscht die Welt durch das Zielfernrohr seiner Präzisionswaffe.

In seinem Visier tauchen eine schwarzverschleierte Frau und ein Junge auf. Der Junge hält eine Granate. Wird Kyle schießen? Natürlich wird er schießen, aber zuerst kommt seine Rechtfertigung, inszeniert als Rückblende mit Phrasen aus der Waffenlobby der USA. Als Kind hat Kyle seinen ersten Hirsch erschossen und eine lebensprägende Predigt durch seinen Vater gehört.

»Es gibt drei Arten von Menschen«, sagt der Papa. »Schafe, Wölfe und Hirtenhunde. Manche Leute wollen glauben, dass das Böse auf der Welt nicht existiert, und sollte es je ihre Schwelle verdunkeln, sie wüssten sich nicht zu wehren. Das sind die Schafe. Dann gibt es das Raubwild, das Gewalt benutzt, um die Schwachen zu jagen. Das sind die Wölfe. Und dann gibt es jene, die mit der Gabe der Aggression gesegnet sind, einem unstillbaren Bedürfnis, die Herde zu schützen. Diese Männer sind eine seltene Rasse, die lebt, um dem Wolf entgegenzutreten. Das sind die Hirtenhunde.«

»American Sniper« zeigt nun Chris Kyle weniger als Hirtenhund gegen Wölfe denn als Besessenen, der aus sicherer Distanz Männer, Frauen und Kinder erledigt. Ehre, Anerkennung und ein Bestseller sind sein Lohn; glücklich wirkt der Mann nirgends, eher hilflos, wenn es nichts zu retten und zu helfen gibt. Der Film greift auch Chris Kyles tragisches Ende nicht mehr auf. Der legendäre Scharfschütze wurde von einem durchgedrehten Soldaten erschossen, einem verwirrten, traumatisierten Marineinfantristen. Er hatte den Kameraden auf einen Schießplatz mitgenommen, um ihm »zu helfen«.

Die deutsche Polizei ermittelt gegenwärtig, ob ein deutscher Held und Retter - zumindest hat er sich selbst lange Zeit so gesehen - nicht sogar mehr als 160 Menschen auf dem Gewissen hat.

Vielleicht hat sich der Krankenpfleger Niels H. ebenfalls als Auserwählter, als Hirtenhund verstanden, als er Hunderte von Patienten erst durch eine Injektion in Todesnähe brachte, um sie dann dramatisch wiederzubeleben - was ihm in geschätzten 170 bis 200 Fällen nicht gelang. Getan hat er es, um sich selbst als Lebensretter bewundern zu können und um von anderen gelobt und bewundert zu werden.

Vor dem Landgericht Oldenburg berichtete der Sachverständige Konstantin Karyofilis, der Angeklagte habe ihm gestanden, dass er den lebensbedrohlichen Zustand aus demselben Grund auslöste, aus dem in ihrem Selbstgefühl gestörte Feuerwehrleute Brände legen. Er wollte ein Held sein, der beste Pfleger weit und breit. Er fühlte sich aus seiner sonst depressiven Grundstimmung erlöst und befreit, wenn er einen Patienten dem Tod entrissen hatte.

Dem Hochgefühl zuliebe verdrängt Niels H. die Einsicht, dass es kein anderer als er selbst gewesen war, der den Tod inszeniert hatte. Und da mit einem Herzstillstand nicht zu spaßen ist, hat ihn die Vorbereitung auf seine grandiose Inszenierung zum Massenmörder gemacht.

Niels H. sei ein engagierter Krankenpfleger gewesen, sagen die Zeugen, zumindest zu Beginn seiner Karriere. Aufgefallen seien sein Ehrgeiz und sein Bedürfnis, andere zu beeindrucken, Lob einzuheimsen. Einem seiner Vorgesetzten fiel auf, dass Niels H. nach dem Herzstillstand eines Patienten erst auf den Gang lief und zwei Lernschwestern hereinrief: Jetzt könnt ihr mal sehen, wie Reanimation geht.

Vergleiche sind keine Gleichungen; es bleibt immer ein Rest. Die Gefahr der Rolle des Helfers, des Hirtenhundes, des Lebensretters liegt darin, dass ihr Glanz hilft zu leugnen, unter welch prekären Bedingungen dieses Rettungswerk nicht selten abläuft. In den Intensivstationen von Oldenburg und Delmenhorst war der Schock groß, die Frage nachhaltig: Warum haben wir das nicht früher bemerkt? Die gehäuften Todesfälle, wenn Niels H. Schicht hatte, den sprunghaft gestiegenen Verbrauch an dem Medikament, das er verwendete?

Der Scharfschütze ist ein Held geblieben, zumindest für die Bewunderer militärischer Interventionen und geschickten Waffengebrauchs. Der Schmerz der Opfer und ihrer Angehörigen verbindet beide Täter, ebenso die Täuschungsmanöver, welche ihren Auftritt prägen: kleine, schmutzige Lügen auf der Intensivstation, große, selbstherrliche Lügen im Krieg der USA gegen Irak.