Deutschlands kranke Indianer

Studie: Experten fordern für Nordosten mehr Gesundheitsprävention

  • Jürgen Seidel, Schwerin
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.

Deutschlands Indianer wohnen im Nordosten der Bundesrepublik - genauer in Vorpommern. Diesen ungewöhnlichen Vergleich erlaubt eine Langzeitstudie der Universität Greifswald. Eines der Ergebnisse zeigt, dass die Vorpommern fast ebenso häufig an Gallensteinen zu leiden haben wie die amerikanischen Ureinwohner. Und sie sterben auch früher als der deutsche Durchschnitt. Aber warum?

Genau das ist eine der Fragen, denen eine vor zehn Jahren ins Leben gerufene Untersuchung der Universität Greifswald nachgeht. Die »Study of Health in Pomerania« ist eine ehrgeizige wissenschaftliche Unternehmung, mit der die Gesundheit der vorpommerschen Bevölkerung untersucht wird - so werden die fast 4400 Probanden zwischen 20 und 79 Jahren im wahrsten Sinne des Wortes auf Herz und Nieren geprüft.
Im Unterschied zu vielen anderen Studien, die sich zumeist auf ein Forschungsthema konzentrieren, erlaubt SHIP komplexere Aussagen über den Gesundheitszustand einer gesamten Population. Die jetzt vorgelegten Erkenntnisse der Greifswalder Wissenschaftler sind zumindest in der Zusammenschau alarmierend.
So lebt man im Nordosten Deutschlands mit einem besonders ausgeprägten Mortalitätsrisiko - dort werden die Leute also nicht so alt wie anderswo. Und sie werden nicht gesund alt. Neben Gallensteinleiden - hier ist Vorpommern sogar Vize-Weltmeister - gehören auch Bluthochdruck, Fettleber bei jedem dritten Erwachsenen über 45 Jahre sowie schlechtere Zahngesundheit zu den Problemen im Nordosten.
Als Gründe für diese Ergebnisse der Studie, die pro Jahr rund eine Million Euro kostet, werden vor allem die »üblichen Verdächtigten« genannt - ungesunder Lebensstil, falsche, zu fettreiche Ernährung, Bewegungsarmut und geringe Stresskompetenz. Zudem würden gewisse »genetische Varianten« nicht ausgeschlossen, während Zusammenhänge zwischen der Höhe des Einkommens und dem allgemeinen Gesundheitszustand im vorpommerschen Teil des ohnehin strukturschwachen Bundeslandes in der Studie keine Rolle spielten. Arbeitslosigkeit ist nach den Worten von Wolfgang Hoffmann von der Greifswalder Universität aber auf jeden Fall ein wesentlicher Risikofaktor. Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass die geringere Lebenserwartung im Nordosten nicht etwa an einer schlechteren medizinischen Versorgung liegt und dass im Gegensatz zu gängigen Klischees in Vorpommern auch nicht wesentlich mehr Alkohol konsumiert werde als im Bundesdurchschnitt.
Bleibt die Frage nach den Konsequenzen, damit »Deutschlands Indianer« in Vorpommern länger und länger gesund leben - so das erklärte Ziel für das »Gesundheitsland Nummer 1«, das MV werden will. Dazu bedarf es vor allem gesunder Menschen, meint Hoffmann - schließlich kaufe man Haarwuchsmittel auch nicht von Glatzköpfen. Die Wissenschaftler fordern deshalb, der Prävention einen wesentlich höheren Stellenwert einzuräumen - besonders für Kinder und Jugendlic...

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