Überlebens-Kunst

Die studio galerie berlin in der Frankfurter Allee wird in diesem Jahr 40.

  • Christina Matte (Text) und Joachim Fieguth (Bild)
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Frankfurter Allee ist eine der dichtbefahrensten und lärmerfülltesten Straßen der Hauptstadt. Wer jedoch die studio galerie berlin betritt, die sich auf Höhe des U-Bahnhofs Samariterstraße befindet, den empfängt - vollkommene Stille. Nein: Leise, ganz leise swingt Benny Goodman. Rotweinmusik, Wohlfühltöne.

Nun ist es nicht etwa so, dass die Leute die Galerie gleich in Massen betreten würden; man müsste dann von »erstürmen« sprechen: Das war einmal, in einer anderen Zeit. Aber der eine oder andere tritt auch heute ein, so dass man sagen kann: Einer kommt, einer geht. Das ist angemessen und angenehm, denn sehr groß muten die beiden Ausstellungs- und Geschäftsräume nicht an. Was auch daran liegen könnte, dass jeder Quadratzentimeter genutzt wird, vollgestellt ist mit Vitrinen und Regalen, in denen wiederum erlesene Dinge herausgehobenen Platz finden. Hier sind es Gefäße aus Keramik - Vasen, Schalen, Dosen, Kannen, Becher, Teller, Tassen, Töpfe -, dort kleine Objekte und Plastiken wie Pferde aus Ton oder Bronzestiere, die Damen werden angelächelt von ausdrucksstarken Halsketten, Ringen, Anhängern, Ohrschmuck, Broschen. Und noch die Wände sind bedeckt von Gemälden und Grafiken, die mancher gern zu Hause hätte. Alles in allem sind die Objekte erschwinglich. Man findet etwas für zehn Euro, doch ab und zu sind Kunden bereit, für ein Stück, das ihnen das Herz öffnet, ein paar hundert hinzublättern - gern.

Mancher, der die Galerie betritt, ist aus purem Zufall auf sie gestoßen: Touristen, die Berlin erkunden und sich von den Schaufenstern einladen ließen. Andere kennen die Galerie schon lange und suchen sie absichtsvoll auf, wenn sie Freunde oder sich selbst beschenken möchten. Zwischen noch anderen und der Galerie haben gemeinsam zelebrierte Jahre ein Band geknüpft. Diese Kundinnen oder Kunden schauen einfach mal herein, genießen den Luxus der schönen Dinge, plaudern mit den Galeristinnen und gehen dann wieder ihrer Wege.

Fast 30 Jahre lang war Gisela Frischmuth die Galeristin der studio galerie. Als sie im letzten Jahr 70 wurde, hat ihre Tochter Susanne Bartel die Ausstellungsräume in der Frankfurter als Geschäftsführerin übernommen. Aber donnerstags und freitags trifft man Gisela Frischmuth immer noch hinter dem Ladentisch. Sie würde die Begegnungen mit »ihren« Kunden und Künstlern vermissen. Und wenn sie ihre Geschichte erzählt, begreift man: Hier wird auch Überlebenskunst präsentiert.

Interesse an Malerei und Grafik hatte Gisela Frischmuth von Kind an. Diese Zuneigung inspirierte sie zu einem Fernstudium der Typographie. In ihrer Heimatstadt durfte sie für den Staatlichen Kunsthandel der DDR die »Galerie am Markt« aufbauen. Als diese gut lief, »musste ein Hochschulkader übernehmen« - ihre Wortwahl zeigt, die Kränkung ist noch nicht vergessen. Für Gisela Frischmuth bedeutete es, in die zweite Reihe zurückzutreten: von 1976 bis 1982 war sie stellvertretende Galerieleiterin, und wenn sie sich an die »sehr guten Ausstellungen« in Gera erinnert, waren diese auch ein wenig ihr Verdienst. 1982 dann Berlin, studio galerie am Strausberger Platz, erste Verkäuferin bei Günter Muth. Muth und Frischmuth - nomen est omen. Als Muth aufhörte, schlug er die Frau mit dem frischen Mut als seine Nachfolgerin vor, und die Bezirksdirektion Berlin des Staatlichen Kunsthandels der DDR stimmte seinem Vorschlag zu. Seit 1986 war sie die Chefin.

Ihre Geringschätzung für Keramikarbeiten, die sie lange nur als »Töpfchen« betrachtet hatte, war da schon der Hochachtung gewichen. Ihr widerfuhr sozusagen ein Erweckungserlebnis: Eines Abends, als sie nach Feierabend in der studio galerie noch die Stücke für eine Ausstellung auspackte, hielt sie in ihren Händen die Arbeiten von Antje Scharfe. Antje Scharfe, die an der Burg Giebichen-stein Keramik studiert und nach ihrem Abschluss als Diplomkünstlerin ein Aufbaustudium an der Hochschule für Angewandte Künste UMPRUM in Prag absolviert hatte, arbeitete freiberuflich in ihrer Werkstatt in Zepernick bei Berlin. Was Gisela Frischmuth da in die Regale stellen durfte, verzauberte sie: Form, Farbe und Glasur - atemberaubend. »Das waren keine Töpfchen, das war Kunst! Von da an habe ich nach ähnlichen Dingen gesucht.« Sie fand sie.

Zwölf Verkaufsausstellungen - thematische und Einzelschauen - hat sie pro Jahr für die studio galerie organisiert. Lediglich angewandte Kunst durfte sie nach Maßgabe des Staatlichen Kunsthandels präsentieren, der mit seinen Galerien dem Kitsch eine Absage erteilen, den Geschmack der DDR-Bürger bilden wollte. Schon früh um drei standen Menschenschlangen vor dem Geschäft, als um zehn Uhr die Ausstellung zum 80. Geburtstag Hedwig Bollhagens eröffnete. »Jeder bekam höchstens drei Teile. Wir haben dann den roten Punkt an die verkauften Stücke geklebt, die ja bis zum Ende des Monats noch bei uns gezeigt wurden: Am zweiten Tag war alles rot, so etwas war unerfreulich. In jener Zeit«, erzählt Gisela Frischmuth, »waren wir Bittsteller bei den Künstlern. Oft verkauften sie in ihren Werkstätten selbst, die Nachfrage nach Individuellem war riesig. Es gab zu wenig schöne Dinge.« Doch von den zu wenigen schönen Dingen hat Gisela Frischmuth immer etwas in die Galerie holen können. Zum Beispiel als Keramiken gefertigte Plastiken von Gertraud Möhwald, Professorin an der Burg Giebichenstein. Für diese Plastiken habe man Möhwald mit der Begründung, es handele sich nicht mehr um Kunsthandwerk, sondern um Kunst, damals sehr stark angegriffen. Mit diesen Plastiken sei sie weltberühmt geworden.

Dann brach die DDR zusammen. Der Staatliche Kunsthandel wandelte sich zur Art Union GmbH, die alle 37 Galerien ihres Vorläufers übernahm. Eine jede sollte die Chance bekommen, mit einem neuen Konzept weiterzubestehen. Doch Gisela Frischmuth wollte sich selbstständig machen. Und gerade die studio galerie, eine der besten Galerien, wollte die Art Union nicht entlassen. Gisela Frischmuth hat alles unternommen, »ihre« Galerie dennoch zu bekommen: Sie rückte der Treuhand auf die Pelle, belegte Existenzgründerseminare bei der Industrie- und Handelskammer, brachte mit Hilfe ihres Partners 20 000 D-Mark auf und entschied sich für den Standortwechsel in die Frankfurter Allee - eine kluge Entscheidung, wie sich erwies, »denn der Strausberger Platz ist heute tot«. Sie erweiterte das Sortiment um kunsthandwerklich hergestellten Schmuck aus edlen Steinen und Metallen, rückte schließlich ab vom Konzept der monatlichen Ausstellungen, sorgte dafür, dass die Regale stets mit beseelten Dingen gefüllt waren, an denen keine roten Punkte klebten - die Schlangen vor ihrem Geschäft blieben aus. Handwerk aus Asien überschwemmte den Markt: reizvoll für die Neubundesbürger. Und diese Produkte waren vergleichsweise billig. Viele ostdeutsche Künstler gaben auf. Von den ehemals 37 Galerien des Staatlichen Kunsthandels haben gerade mal vier oder fünf überlebt. Die studio galerie berlin, 1975 gegründet, geht in diesem Jahr in ihr 40.

Fragt man Gisela Frischmuth nach dem Grund, weshalb ihre Galerie überlebte, braucht sie für die Antwort ein einziges Wort: Leidenschaft. Ihre und die der Künstler, die durchhielten. »Ich habe mit denjenigen weiter zusammengearbeitet, die mir schon in der DDR geholfen hatten.« Heute bietet die Sammlung Unikate aus 50 Ateliers und Werkstätten bekannter Künstler und Kunsthandwerker, von denen sich nicht wenige in der Tradition des Bauhauses oder der Kunsthochschule Burg Giebichenstein sehen. Kein Wunder, stellen doch jetzt oft die Kinder oder Enkel der Kreativen, mit denen die Galerie einst begann, in der Frankfurter Allee aus. Beispielsweise Martin Möhwald, Sohn von Gertraud und Otto Möhwald, oder Ute Böhm, Tochter von Gudrun und Ralf Unterstab sowie Enkelin von Albert Kießling. Allerdings hat Gisela Frischmuth auch über den Preis zu verhandeln gelernt. Sonst hätte auch sie wohl aufgeben müssen.

Wie knapp die Finanzdecke manchmal ist, weiß Jan Linkersdorff zu berichteten. 2012 hat Jan Linkersdorff den Freundeskreis der studio galerie gegründet. Zwölf Leute gehören diesem Kreis an, sie pflegen den Kontakt zu den Künstlern, auch zu denen, die nicht mehr aktiv sind, oder holen Ware aus den Ateliers und Werkstätten. So hat Linkersdorff gerade in Prag den Keramiker Ivan Panov besucht, ihm Grüße von den Galeristinnen ausgerichtet und mehrere von Panovs zerbrechlichen Kreationen nach Berlin transportiert. Doch manchmal hilft der Freundeskreis den Galeristinnen auch ganz anders: mit Überbrückungskrediten. Als die Hedwig Bollhagen-Werkstätten einmal Ware geschickt hatten und kein Geld in der Kasse war, ist der Freundeskreis eingesprungen.

Einer der Künstler, die erst nach der Wende zur studio galerie fanden, als das Vertriebsnetz für DDR-Künstler zerrissen war, ist Werner Herzog. Der 1936 in Dresden geborene promovierte Architekt arbeitet seit 1980 als freischaffender Grafiker und gehört zu den renommiertesten Grafikern Deutschlands. In der DDR hat er mit seinen meisterlichen Radierungen - in der Natur entdeckte Sujets, doch keine bloßen Abbilder, sondern Erzählungen vom Vergehen - zeitweise drei Galerien fast allein beliefert. »Es gab eben ein paar dumme Menschen«, sagt er, »die nicht den Demonstranten mit der roten Nelke, sondern den traurigen Baum sehen wollten.« Seine »traurigen Bäume«, Stege, Treppen, Alleen, Wurzelgeflechte, Winter- und Sommerwege sind immer noch äußerst begehrt. Nie, niemals würde er den Verkauf seiner Kunstwerke selbst in die Hand nehmen. »Wenn mir die Leute ins Haus kämen«, glaubt er, »käme ich nicht mehr zum Arbeiten.« Der studio galerie vertraut er. Und er ist überzeugt davon, dass Gisela Frischmuths Tochter Susanne Bartel sie mit der selben Sachkenntnis, Leidenschaft und Freundlichkeit fortführen wird.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal