Alle warten auf Castros Auftritt

Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nichtpaktgebundenen in Kubas Hauptstadt / Erkrankter kubanischer Revolutionsführer erfährt großen Zuspruch

  • Leo Burghardt, Havanna
  • Lesedauer: 6 Min.
Mit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Havanna erlebt der Gipfel der Blockfreienbewegung seinen Höhepunkt. Unsicher ist, in welcher Form Fidel Castro seine Aufwartung macht. Sicher ist, dass Kuba für drei Jahre die Präsidentschaft der Blockfreien übernimmt.
Kommt er oder kommt er nicht? Vor dem Beginn des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der blockfreien Staaten (NAM) heute in Havanna wird fast weniger über mögliche Resolutionen spekuliert als vielmehr darüber, ob sich der erkrankte kubanische Staatschef Fidel Castro zeigen wird. Das Gipfelprogramm hatte ein großes Versprechen gemacht: Der 80-Jährige sollte die Eröffnungsrede halten, wenn die rund 50 Staats- und Regierungschefs zusammenkommen.
Nicht dabei sind einige Journalisten, unter anderem die Korrespondenten von ARD, »Frankfurter Allgemeiner Zeitung« und »Handelsblatt«, die keine Visa erhielten. Dagegen konnten Mitarbeiter anderer Medien wie »Spiegel«, ZDF, »Berliner Zeitung« und »Deutsche Welle« einreisen. Vermutet wird in Bezug auf die ARD ein Zusammenhang mit dem kürzlich ausgestrahlten Film »Rendezvous mit dem Tod«. Darin wird die zweifelhafte These aufgestellt, Fidel Castro habe den Kennedy-Mord 1963 in Auftrag gegeben. Im »Handelsblatt« erschien online nach der Erkrankung Castros eine zweiteilige Korrespondenz mit der Überschrift »Chronik eines angekündigten Todes«. Eine offizielle Begründung Kubas für die Verweigerung der Visa liegt indes nicht vor.
In Bezug auf Fidels Auftritt kam das Dementi rasch: Fidel Castro sei zwar der Chef der kubanischen Gipfel-Delegation, aber noch sei nicht sicher, dass er »körperlich dabei sein werde«, verkündete am Sonntag Kubas Außenminister Felipe Pérez Roque.
Die Frage der körperlichen Anwesenheit Castros - der ewige Dorn im Auge der USA - ist keineswegs eine nebensächliche. Kuba wird nämlich auf dem Gipfel für drei Jahre die Präsidentschaft der Blockfreien übernehmen. Zudem wird erwartet, dass in Havanna der äußerst USA-kritischen Haltung vieler Teilnehmer neue Nahrung gegeben wird, was Kuba nicht ganz unrecht sein dürfte. »Wir schließen die Reihen gegen eine Welt, die von den Mächtigsten regiert wird«, sagte Außenminister Pérez Roque zum Beginn der Vorbereitungsgespräche.

Chávez und Morales in Castros Spuren
Aus Lateinamerika kommen die beiden »Neu-Castros«: Der Präsident Venezuelas Hugo Chávez und der bolivianische Staatschef Evo Morales. Für beide ist die Stärkung der Blockfreien Herzensangelegenheit. Der venezolanische Außenminister Nicolas Maduro gab bereits am Mittwoch die Marschroute vor: Mit der Präsidentschaft Kubas in der Bewegung sei ein historischer Zeitpunkt gekommen, wieder eine multipolare Welt zu schaffen, mit einem Gleichgewicht der Kräfte, sagte er der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina. »Wir werden die Hegemonie des nordamerikanischen Imperialismus in den nächsten Jahren brechen«, zeigte er sich optimistisch. Afrika wird in Havanna unter anderem durch Algeriens Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und Südafrikas Staatschef Thabo Mbeki vertreten - beide stehen Castro sehr nahe. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad wird ebenso teilnehmen wie Syriens Präsident Baschar al Assad.
Traditionelle Themen der seit 1961 stattfindenden Treffen sind Armut, Entwicklungspolitik und Ungerechtigkeit. Iran werde seine Haltung im Atomstreit erläutern und die Friedlichkeit seines Nuklearprogramms betonen, kündigten Diplomaten an. Indien und Pakistan wollen miteinander über einen Neueinstieg in den Friedens-prozess zwischen beiden Staaten sprechen. Venezuela wird um die Hilfe anderer Staaten buhlen, um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erlangen.
Die Bewegung, die immerhin beinahe zwei Drittel der Stimmen der Vereinten Nationen repräsentiert, könnte eine enorme politische Kraft darstellen. Bisher jedoch hat sich »diese Stärke auf Grund der Vielfalt der Ideologien, Kulturen, Religionen, nationalen Interessen und Entwicklungsstufen oft als ihr größtes Hindernis erwiesen«, da es schwierig sei, sich auf konkrete Aktionen zu einigen. So hatte Raúl Castro, Kubas derzeitiger Interimspräsident, bereits 1989 während des 9. Gipfels in Belgrad die Erfahrungen mit der Bewegung zusammengefasst. Er leitete damals die kubanische Delegation. Fidel Castro war zu Hause geblieben, weil es ihm geraten erschien, bei den sich anbahnenden politischen Hurrikans, die auch die NAM zu entwerten drohten, an Bord zu bleiben. Wird Raúl Castro auch diesmal Delegationschef sein? Wird er die von Fidel verfasste Eröffnungsrede vortragen oder wird ihr Autor womöglich bei dieser Gelegenheit für kurze Zeit in Persona erscheinen - oder nur per Bildschirm? Auch wenn diese Frage alles überlagert, misst Kuba, Gründungsmitglied der Bewegung, dem Gipfel erstrangige Bedeutung bei: als Scheideweg. Gelingt es in und nach Havanna nicht, die NAM durch überzeugende Aktionen zu beleben und zu stärken, wird sie wohl allmählich in der Bedeutungslosigkeit versinken. »Während die Chefs von Gipfel zu Gipfel reisen, geraten die Völker von Abgrund zu Abgrund«, so Fidel Castro auf dem Gipfel 2003 in Malaysia, das während der vergangenen drei Jahre gemeinsam mit Südafrika und Kuba den Gipfel in Havanna ohne Diskrepanzen vorbereitete

Kritik an der unipolaren Welt
Zwar sind nach wie vor in der Dritten Welt, aus der sich die Nichtpaktgebundenen vorwiegend rekrutieren, Probleme wie die soziale Ausgrenzung von Abermillionen, Analphabetentum, Hunger, die verheerenden Folgen eigentlich heilbarer Krankheiten, Korruption und die unbezahlbare Auslandsverschuldung geblieben. Doch in Lateinamerika ist ein Wandel eingetreten, von dem die ganze Bewegung profitieren könnte. Das Überleben generell ist als gemeinsame Herausforderung erkannt worden, und dass vom neoliberalen Kapitalismus in einer unipolaren Welt nichts Gutes zu erwarten ist.
Kuba ist gipfelerfahren. 1979 und 1986 war es bereits Gastgeber der Nichtpaktgebundenen und von 1979 bis zum nächsten Gipfel 1983 in Delhi ihr Präsident, aber mit weniger Bewegungsfreiheit als heute. Zum Beispiel waren sowjetische Truppen im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert, Iran und Irak lieferten sich in jenen Jahren blutige Kämpfe. Heute ist Kuba frei von gegeneinander Krieg führenden Verbündeten, frei von strategischer Rücksichtnahme und in der Dritten Welt geachteter als je zuvor. Seine solidarische Zusammenarbeit mit 65 Ländern und die Lobbyarbeit, die es in den vergangenen drei Jahren leistete und künftig leisten wird, lassen Erwartungen zu, dass die Bewegung in Zukunft wieder eine wichtige Rolle in der Weltpolitik spielen kann.
Kuba wird konkrete Hilfe bei der Ausbildung von Fachkräften, im Gesundheitswesen und bei der Alphabetisierung sowie Erfahrungen seiner Energiespar-Revolution anbieten. Die Angebote dürften auf offene Ohren stoßen.


Zahlen und Fakten - Bewegung der Blockfreien
Die Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM), deren 14. Konferenz am Wochenende in der kubanischen Hauptstadt mit dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu Ende geht, wurde 1961 in Belgrad als Gegengewicht zu den USA und der Sowjetunion gegründet. Die Grundlagen für die Bewegung wurden bereits 1955 auf einer Konferenz im indonesischen Bandung gelegt. 29 Staaten Afrikas und Asiens prangerten damals den Kolonialismus an, bekannten sich zum Recht aller Völker auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, zur »friedlichen Koexistenz« von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen und zur weltweiten Abrüstung.
Mit dem Beitritt Haitis und des karibischen Inselstaates Saint Kitts und Nevis ist die Zahl der Blockfreien auf 118 Staaten gestiegen. Davon gehören 53 Staaten zu Afrika, 38 zu Asien, 26 zu Lateinamerika und der Karibik und eines (Belarus) zu Europa.
Seit dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages konzentrierten sich die Forderungen der Blockfreien auf den weltweiten Kampf gegen Armut, Analphabetismus und Unterentwicklung. Im Schlussdokument des Gipfels der Blockfreien 1998 im südafrikanischen Durban sprachen sich die Mitgliedstaaten für eine internationale Terrorismuskonferenz, für die Fortsetzung des Nord-Süd-Dialogs und für weltweite atomare Abrüstung aus.
Unter der südafrikanischen (1998-2003) und der malaysischen Präsidentschaft (2003-2006) gewann die Blockfreienbewegung wieder an Dynamik. Daran will die neue kubanische Präsidentschaft anknüpfen.
Innerhalb der Vereinten Nationen soll die Bewegung künftig eine größere Rolle spielen. UN-Generalsekretär Kofi Annan will heute eine Rede vor den Staats- und Regierungschefs halten. AFP/ND
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