»Zeichne, was du siehst«

Lichtenberger Schüler erforschen Lebenswege jüdischer Naziopfer

  • Hans-Jürgen Neßnau
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Konnten sich Häftlinge von KZ oder Insassen von Ghettos das menschenunwürdige Dasein unter dem Nazi-Terror etwas lebenswerter machen? Das versuchen Jugendliche des Manfred-von-Ardennne-Gymnasiums in Lichtenberg zu ergründen. Dabei trafen sie auf künstlerische Aktivitäten in Bereichen der Musik, Literatur und Malerei. Die Exponate, die im Verlauf der Recherchen der Schüler zustande gekommen sind, werden - in Kombination mit Collagen des Leistungskurses Kunst - derzeit im Rathaus an der Möllendorffstraße ausgestellt. Das Projekt ist - als Bestandteil des Abiturs - in die Arbeit eines Seminarkurses integriert. »Ein Schwerpunkt ist die Bedeutung und Funktion der künstlerischen Aktivitäten der jüdischen Opfer während der Haft und in der Gegenwart«, erläuterte die Leiterin des Seminarkurses, Musik- und Deutschlehrerin Dr. Margit Nagorsnik. Ihre Schüler besuchten Lesungen, Konzerte und Ausstellungen zum Thema, erforschten Lebenswege von Ermordeten und Überlebenden des Holocaust und führten Gespräche mit Zeitzeugen. So gelang es ihnen beispielsweise, persönliche Kontakte zu knüpfen mit Eva Herrmannova aus Prag und Eva Erben aus Israel, die beide im Ghetto Theresienstadt inhaftiert waren und dort als Chorsängerinnen in der Kinderoper »Brundibar« mitwirkten. Der Komponist Hans Krasas hatte die Oper mit den im Ghetto gefangenen Kindern 1943/44 viele Male aufgeführt, bevor er im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde. Auf neun Tafeln dokumentieren die »Ardenne-Schüler« ihre Recherchen. So berichten sie über Künstlerpersönlichkeiten wie den Berliner Jazzmusiker Coco Schumann, der im Ghetto Theresienstadt, im Vernichtungslager Auschwitz und anderen Konzentrationslagern inhaftiert war. Der Besucher erfährt, dass der Musiker im Ghetto Theresienstadt als Schlagzeuger bei den »Ghetto-Swingern« mitwirkte und auf Befehl der Nazis vor den Gaskammern in Auschwitz auf der Gitarre den Schlager »La Paloma« spielen musste. Die damals nicht nur wegen ihres Onkels Gustav Mahler berühmten Geigerin Alma Rose leitete in Auschwitz das Frauenorchester und starb im Lager. Der Besucher wird auch informiert über die »Cellistin von Auschwitz« Anita Lasker-Wallfisch, die heute in London lebt und unter Alma Rose musizierte. Heute in Hamburg lebt Esther Bejarano, die im Orchester Akkordeon spielte. An einer Längswand im Ratssaal im ersten Stock sind 16 Zeichnungen von Helga Weissova-Hoskova aus Prag angebracht. Als 12-jähriges Mädchen habe sie auf Geheiß ihres Vaters im Ghetto Theresienstadt Bilder gemalt, die nach wie vor als kindliche Dokumente des Holocaust um die Welt gehen, sagte Dr. Nagorsnik. »Zeichne was du siehst«, riet damals ihr Vater. Unter diesem Motto stelle sie auch heute noch ihre Zeichnungen aus, um anderen ein Bild zu vermitteln, wie das Ghetto-Leben damals aussah, berichtete bei der Ausstellungseröffnung die Schülerin Katarina Franz. Erschütternd sind die Zeichnungen der Pragerin: Brot wird auf einem Leichenwagen, dem einzigen Transportmittel im Ghetto, bereitgestellt. Der Selbstmord eines Inhaftierten am Stacheldrahtzaun im KZ Auschwitz wird dokumentiert. Die Ardenne-Schüler werden weiter Kontakt zu Zeitzeugen suchen. In der ersten Etage des...

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