Bürgerentscheide und ihre Tücken

In Lichtenberg wollen die Wähler Demokratie üben - und müssen viel lesen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Lichtenberger Wähler sind wahrlich nicht zu beneiden. Sie werden am Sonntag, so sie an die Wahlurnen treten, zu der Erkenntnis kommen: Direkte Demokratie ist wahnsinnig anstrengend. Denn sie müssen nicht nur über Abgeordnetenhaus und Bezirksparlament votieren, auch zwei Bürgerentscheide stehen zur Abstimmung. Es geht um die Zukunft von drei Lichtenberger Gymnasien. Das Bezirksamt hatte, wie Bezirksstadtrat Michael Räßler-Wolff (Die Linke.PDS) erläuterte, beschlossen, das Kant-Gymnasium und das Coppi-Gymnasium am Standort Lückstraße gleichberechtigt zusammenzulegen und das Forster-Gymnasium am Standort Römerweg zu etablieren. Hintergrund sind die sinkenden Schülerzahlen. Das Coppi-Gymnasium würde danach von Karlshorst nach Rummelsburg wandern, das Forster-Gymnasium den Platz in Karlshorst einnehmen. Das rief Schüler und Eltern besonders des Coppi-Gymnasiums zur Gegenwehr auf den Plan. Sie sammelten 11 000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Die Bezirksverordnetenversammlung legte ein alternatives Bürgerbegehren vor, so wie beschlossen zu verfahren. Nun ist der Wähler gefordert. Es erwartet ihn ein umfängliches vierseitiges Dokument mit Argumentationshinweisen der gegensätzlichen Parteien und Kostenvoranschlägen. 752 000 Euro jährlich würde es den Lichtenberger kosten, wenn alles so bleibt, wie es ist, null Euro bei Zusammenlegung. Um das ganze Material durchzulesen, benötigt man etwa 10 Minuten, um es zu verstehen, vermutlich sehr viel länger. Bei einer Wählergemeinde von 212 887 Berechtigten müsste, rein theoretisch, wenn es nur eine Wahlurne im Bezirk gäbe, diese geschlagene vier Jahre geöffnet bleiben, damit alle ihr Bürgerrecht auf Bürgerentscheid ordnungsgemäß wahrnehmen können. Da es aber 182 Wahllokale in Lichtenberg gibt, geht das Ganze auch wesentlich schneller über die Bühne - so um die acht Tage. Das ist nur ein Rechenspiel. Tatsächlich werden die Wahllokale, wie überall, um 18 Uhr schließen. Innerhalb dieser Zeit wird der Wähler kaum die Chance haben, so er nicht involviert ist, sein demokratisches Recht wahrzunehmen. Das heißt, er macht entnervt beim Vorschlag des Bezirksamtes sein Kreuz, weil dies das gesamtbezirkliche Interesse im Auge hat, oder man kreuzt bei der Gegenseite an, weil man der Obrigkeit eins auswischen will. Oder die dritte Möglichkeit: Man verweigert sich dem verwirrenden Spiel.
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