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Wer kontrolliert New Work?

Die Bundesregierung fördert und lenkt die Digitalisierung. Alternative Ideen haben es dabei schwer

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Immer neue »Trends, Maßnahmen und Initiativen« zur Bewältigung der vierten industriellen Revolution werden von der Regierung vorgestellt - kooperiert wird dabei vor allem mit der Wirtschaftslobby.

Die Bundesregierung treibt die Digitalisierung voran - zumindest, soviel kann gesagt werden, auf Papier. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat vor wenigen Tagen das Impulspapier »Industrie 4.0 und Digitale Wirtschaft« vorgelegt. Das 26-seitige Werk wurde als Beitrag zum Start der Plattformen »Industrie 4.0« und »Innovative Digitalisierung der Wirtschaft« vorgestellt, das Ministerium fasse hier »Trends, Maßnahmen und Initiativen« zusammen.

Gabriel sagte zur Präsentation die Worte, die derzeit auf der politischen Baustelle »Digitalisierung« gesagt werden müssen: »zentrale Gestaltungsaufgabe der nächsten Jahre«, »Bildung der Grundlagen für den Wettlauf um die Produkte und die Märkte von morgen«, »digitales Wachstumsland Nr. 1 in Europa«, »Führungsrolle« und so fort.

Interessanter wird es, wo von den »Initiativen und Maßnahmen« die Rede ist, mit denen das Ministerium »die digitale Transformation unterstützt und ermöglicht«. Gabriel stellte »erstens Technologieprogramme« wie »Autonomik 4.0« und »Smart Service Welt« sowie zweitens spezielle Initiativen für kleine und mittlere Unternehmen vor - dazu gehören »Mittelstand Digital« - sowie »drittens Regulierungsvorhaben auf nationaler und europäischer Ebene«.

Es geht um ein Geflecht von beratenden und steuernden Arbeitsstrukturen, um so genannte Plattformen - und um viel Geld. Das Volumen der Förderung von strategischen Projekten, Forschungsvorhaben, Investitionen, Technologieprogrammen ist beachtlich. Das Wirtschaftsressort steht dabei nicht allein. Allein das Bildungsministerium hat mit über 190 Millionen Euro Projekte gefördert. Insgesamt sind für das Programm »Innovation für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit für morgen« bis 2020 etwa eine Milliarde Euro vorgesehen. Das Wirtschaftsministerium ordnet 40 Millionen Euro den Fördermaßnahmen im Rahmen von »Autonomik für die Industrie 4.0« zu.

Was auffällt an all den Maßnahmeplänen und politischen Anschubhilfen: Es gibt eine enge Kooperation mit Teilen der Wirtschaftslobby, die Beschäftigten sind in den Strukturen zwar über Gewerkschafter vertreten - andere politische Milieus, vor allem alternative haben aber praktisch keinen Einfluss. Die »Plattform Industrie 4.0« etwa wird vor allem von der Regierung und der Wirtschaftslobby getragen - lediglich ein Vertreter der Gewerkschaft IG Metall ist im »Strategiekreis« dabei, der für »Agenda-Setting und politische Steuerung« zuständig sein soll.

Ob und in welcher Weise also andere politische Imperative in die Arbeit der Plattformvielfalt einfließen als jene, die Gabriel in seinem »Impulspapier« beschreibt, ist fraglich. Es gehe, so der Sozialdemokrat, um die »Grundlagen für den Wettlauf um die Produkte und die Märkte von morgen«. Millionen an öffentlichen Geldern werden praktisch in Richtung künftiger privater Aneignung gelenkt: Was an Innovationen herauskommt, soll »zum Fortschritt und Nutzen der Gesellschaft beachtliche Beiträge« leisten - tatsächlich aber nur im vorgegebenen Rahmen der herrschenden politisch-ökonomischen Verhältnisse. Alternative, nicht-marktförmige, auf Möglichkeiten jenseits klassischer Verwertung ausgerichtete Entwicklungen erfahren jedenfalls keine vergleichbare staatliche Förderung.

Es wäre also zu fragen, ob nicht mindestens - um beim Beispiel »Plattform Industrie 4.0« zu bleiben - Vertreter der Opposition mit im »Strategiekreis« sitzen sollten, etwa um ökologische (Grüne) oder soziale (LINKE) Akzente zu setzen. Auch fehlen Vertreter nicht-staatlicher Netzwerke, die für Datenschutz, Informationsfreiheit usw. stehen. Die Liste ließe sich fortsetzen - denn auch im Gewerkschaftslager könnte es zu den Herausforderungen der Digitalisierung unterschiedliche Positionen geben. Abgesehen davon: Die Kontrolle des kompletten Fördergeflechts erscheint für den Normalverbraucher schwierig, eine unabhängige Monitoringstelle wäre also auch nützlich.

In der öffentlichen Debatte steht derzeit freilich eine andere Frage im Mittelpunkt: Welche Auswirkungen die »vierte industrielle Revolution« auf die Arbeitswelt, die Jobs, die Rechte von Beschäftigten hat. Studien, die die Auswirkungen auf bestimmte Berufe prognostizieren, sorgen für Schlagzeilen. Ständig werden neue Ergebnisse von Umfragen bekannt, wie optimistisch oder sorgenvoll Beschäftigte in die digitale Zukunft blicken.

Derweil geht die Debatte weiter: »Die Dynamik der sich immens schnell wandelnden Arbeitswelt lässt auch viele ihrer gesetzlichen Regelungen plötzlich ›alt‹ aussehen«, schreibt die Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel im Themenportal des Unternehmens Xing, dem privatwirtschaftlichen Anbieter des gleichnamigen Berufsnetzwerkes. »Damit New Work nicht unkontrollierbar wird, sind dringend neue arbeitsrechtliche Ideen und Initiativen gefragt.«

Henkel plädiert für »eine komplette Neuordnung der Arbeitsgesetze«, weil die geltenden Regelungen, etwa Arbeitsschutz-, Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzregelungen sowie die Arbeitsstättenverordnungen und Arbeitszeitgesetze, mit der Realität der neuen Arbeitswelt teilweise gar nicht mehr kompatibel sind. Das schafft Rechtsunsicherheit - für die Unternehmen, worauf Henkel verweist: »So ist zum Beispiel nach dem Arbeitszeitgesetz ein Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche über acht Stunden pro Tag hinaus gehenden Arbeitsstunden aufzuzeichnen und mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Wie viele der New-Work-Unternehmen können dies alles gewährleisten? Da drohen saftige Bußgelder.«

Die vierte industrielle Revolution schafft aber auch Rechtsunsicherheit für die Beschäftigten. Selbst die Mitbestimmung droht unterminiert zu werden, weil Grenzen von »Betrieben« im globalen Netzwerk nicht mehr klar sind - und damit auch die Frage nach den Betriebsräten neu gestellt ist. Abgesehen davon, dass die Vertretungsansprüche der »New Worker« andere sein könnten als die fest angestellter Facharbeiter.

Henkels Diskussionsbeitrag zeigt, in welche Richtung bereits vorgedacht wird: »Tatsächlich könnte man aber ja die Frage stellen, ob bei dem veränderten Bewusstsein der neuen Arbeitswelt Gewerkschaften überhaupt noch benötigt werden«, meint die Anwältin.

Auch im Bundesarbeitsministerium von Andrea Nahles hat man den Stellenwert des Themas »Arbeiten 4.0« erkannt. »Nicht alles muss so bleiben wie bisher, aber es muss auch künftig einen wirksamen Rahmen geben«, wurde die SPD-Politikerin zitiert, als sie unlängst ein 91-seitiges Grünbuch vorstellte, das auf einen »neuen sozialen Kompromiss« zwischen Unternehmen, Beschäftigten und Sozialpartnern unter den Bedingungen der Digitalisierung abstellt.

Für 2016 ist ein Kongress geplant, Ende des kommenden Jahres sollen weitere Ergebnisse »des Dialogs« über die Folgen und über neue Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt in der vierten industriellen Revolution in einem Weißbuch vorliegen.

Vielleicht braucht es bis dahin so etwas wie ein Linksbuch zur Digitalisierung.

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