Heiße Luft oder eiskaltes Kalkül?

Debatte um Raketenabwehr-Stationierung in der Ukraine / Moskau bleibt wachsam

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Kiew hat trotz aller Warnungen aus Moskau die Ukraine als möglichen Standort für eine US-Raketenabwehr ins Spiel gebracht.

Die jüngsten Auslassungen von Alexander Turtschinow, Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, schlugen in Moskau wie eine Bombe ein. Seinen Worten zufolge sieht Kiew sich »zu Konsultationen mit unseren Partnern« zwecks Stationierung von Elementen der globalen Raketenabwehr auf ukrainischem Staatsgebiet gezwungen.

Mit »Partner« war die NATO gemeint. Denn allein, so der Ukrainer weiter, sei sein Land nicht in der Lage, sich vor einem »nuklearen Überfall Russlands« zu schützen. Auf einschlägige Absichten würde unter anderem hindeuten, dass Moskau auf der Krim immer neue Systeme von Angriffswaffen in Stellung bringt. Auch Vorbereitungen für die Stationierung von Kernwaffen seien bereits im Gange.

Der Kreml reagierte postwendend. Im Falle einer Stationierung, so der Pressesprecher von Präsident Wladimir Putin, würde Russland sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen sehen, um die eigene Sicherheit zu garantieren. Welche genau, ließ er offen. Etwas gesprächsbereiter war ein Fliegergeneral im Ruhestand. Seinen Worten nach würde sich durch westliche Abwehrstellungen direkt vor der russischen Haustür die Zeit für die Abwehr gegnerischer Raketen und Geschosse auf wenige Sekunden reduzieren. Doch das sei eine eher hypothetische Gefahr. Eine reale Bedrohung dagegen gehe von den Radaren aus, mit denen Kiew und dessen westliche Paten den Luftraum über dem europäischen Teil Russlands weitgehend einsehen könnten.

Zwar dementierte die NATO. Stellungen der globalen Raketenabwehr würden nur auf dem Territorium von Mitgliedern der Allianz stationiert. Moskau bleibt dennoch misstrauisch. Washingtons Raketenabwehr-Pläne hatten das Verhältnis zu Russland lange vor Beginn der Ukraine-Krise belastet. Durch Stationierung in Polen oder Rumänien werde die russische Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt. Der Westen beteuert zwar, die Stellungen seien nicht gegen Russland gerichtet, will das aber nicht in völkerrechtlich verbindlicher Form festschreiben. Moskau besteht darauf: Denn die Allianz hatte bei den Verhandlungen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit zugesagt, ihre militärische Infrastruktur nicht auf Gebiete östlich von Oder und Neiße auszudehnen, ist - zumindest aus russischer Sicht - mit den Osterweiterungen jedoch mehrfach wortbrüchig geworden. Mächtig in die NATO drängt es auch Georgien und die Ukraine. Deren Parlament hatte eigens dazu im Dezember 2014 den blockfreien Status des Landes abgewählt. Um das Prozedere zu beschleunigen, warnte die Tageszeitung »Kommersant« am Donnerstag in ihrem Leitartikel, suche Kiew immer wieder nach neuen Anlässen, um die Lage zu dramatisieren. Zumal der Westen vorsichtig Bereitschaft zur Deeskalation signalisiere und die internationale Öffentlichkeit zunehmend das Interesse an der Ukraine-Krise verliere.

Die Drohung mit westlichen Abwehrstellungen, so daher Russlands Außenminister Sergei Lawrow, sei nichts als »heiße Luft«.

Militärexperten dagegen sprachen von »unverhohlener Provokation« und Eigentor. Mit einer Stationierung würde die Ukraine selbst zur potenziellen Zielscheibe von Atomschlägen, glaubt Igor Korotschenko, Mitglied des Gesellschaftlichen Rates beim russischen Verteidigungsministerium.

Ohne Feuer kein Rauch, warnen kritische Beobachter. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko dealt demzufolge vorbei an der NATO mit den USA, die eine Stationierung mit weitgehendem Schuldenerlass vergolden wollen. Die Ukraine steht immerhin kurz vor dem Staatsbankrott.

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