»Radler zu ignorieren, wäre dumm«

Was holländische Erfahrungen in Berlin ins Rollen bringen könnten

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Niederlande sind ein Paradies für Radfahrer. Mit etwas gutem Willen und mehr Farbe könnte sich Berlin dem annähern.

Mehr als 1200 zumeist weiß gekleidete Radler starteten am Mittwochabend vor dem Brandenburger Tor zu einer Schweige-Fahrt, um der getöteten Radfahrer zu gedenken und für eine fahrradfreundlichere Politik zu demonstrieren. Es wären sicher noch ein paar mehr gewesen, wenn nicht zur gleichen Zeit im Abgeordnetenhaus Freunde dieser an sich gesunden Fortbewegungsart auf Einladung der Grünen über das gleiche Thema diskutiert hätten.

Die fühlten sich gleich in das Radler-Traumland Holland versetzt, wo es »mehr Räder als Einwohner gibt und seit 40 Jahren Radfahrer-Politik gemacht wird«, wie Ineke Spapé, von der Universität Breda erklärte, ihres Zeichens Radfahrerprofessorin. In den dortigen Städten darf man nebeneinander radeln, trauen sich Omas und Opas sowie ihre Enkel aufs Rad, haben Radler meist Vorfahrt, gibt es von der Fahrbahn getrennte Velorouten, Schnellwege und Parkhäuser, die tausende Fahrräder aufnehmen. Allein Utrecht stellt für die Schaffung von Fahrradparkanlagen 52 Millionen Euro in fünf Jahren zur Verfügung. Zum Vergleich: Das zehnmal so große Berlin investiert pro Jahr sechs Millionen Euro in die gesamte Radinfrastruktur. »Es geht nicht einfach um mehr Radfahren, sondern um die Verbesserung der Städte«, gab die Professorin den Berlinern auf den (Rad-)Weg.

Deren Bilanz klingt allerdings ernüchternd. Berlin stehe heute vielleicht da, wo Holland Ende der 70er Jahre stand, sagte ein Radler aus Steglitz. Dort traue sich keiner, auf der Straße zu fahren, »alle nehmen den Gehweg«. Wo das passiert, müsse schnell was geändert werden, sagte Bernd Zanke vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Er erinnerte allerdings daran, dass im vergangenen Jahr von den sechs Millionen Euro für den Radverkehr nur 2,3 Millionen investiert werden konnten, weil das Personal fehlte. In sechs Bezirksämtern ist niemand mit dem Radverkehr befasst, wie der Senat kürzlich eingestehen musste.

Eine Folge der Vernachlässigung ist, das Berlin beim ADFC-Fahrradklimatest vom 24. auf den 30. Platz unter 39 deutschen Städten abrutschte. Besonders die Breite der Radwege und das häufige Zuparken durch Autos wurde bemängelt. »Bei separaten Wege wäre das nicht möglich«, sagte Angela Kohls vom Deutschen Institut für Urbanistik. Sie hält das, was Berlin für die Fahrradinfrastruktur leistet, für »schwächliche Ansätze«. Während der Radverkehrsplan des Bundes empfehle, pro Einwohner zehn bis 15 Euro jährlich für den Radverkehr auszugeben, liege Berlin erst bei knapp drei Euro. In Kopenhagen seien es 23 Euro. »Da ist noch viel Luft nach oben«, so Kohls.

Während der Autoanteil am Gesamtverkehr nur noch gut 30 Prozent beträgt, liegt der des Fahrrads in Berlin schon bei etwa 15 Prozent. Angepeilt werden 20 Prozent. Für die Radler stehen jedoch nur drei Prozent der Verkehrsflächen zur Verfügung, Autos dagegen können 58 Prozent des Straßenraums nutzen, davon 19 Prozent zum Parken. Für Kohls ist es deshalb keine Frage des Geldes, sondern des politischen Willens, ob dem Autoverkehr Flächen weggenommen werden. »Wir brauchen eine andere Prioritätensetzung«, forderte sie und machte dafür gleich noch ein paar Vorschläge, zum Beispiel für einen durchgehenden Radstreifen auf der Prenzlauer Allee, am besten markiert mit roter Farbe. »Den kriegen Sie nie wieder weg.«

Der Senat hat angekündigt, in diesem Jahr etwa 20 Kilometer Radspuren auf den Asphalt zu pinseln und zehn Kilometer Radwege zu sanieren. Derzeit sind von den 1500 Kilometern Hauptstraße etwa 500 mit Radspuren oder -wegen ausgestattet. »Wenn der Senat so weiter macht, sind wir in erst etwa 50 Jahren durch«, hat Stephan Gelbhaar, der Verkehrsexperte der Grünen ausgerechnet. Vielleicht sollten sich die Senatsplaner eine Erkenntnis von Ineke Spapé besonders zu Herzen nehmen: »Radfahrer sind schlauer, besser ausgebildet und verfügen über mehr Einkommen als andere Verkehrsteilnehmer. Es wäre dumm, sie zu ignorieren.«

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