Neue Gravur im DFB-Pokal

Erstmals gewinnt der VfL Wolfsburg mit einem 3:1 gegen Borussia Dortmund den Pott

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Pokalfinale im Berliner Olympiastadion schien vor dem Anpfiff völlig offen. Nach dem Schlusspfiff frohlockten die Wolfsburger mit einem klaren 3:1 über den BVB.

Von Stephan Fischer

Noch einmal alles raushauen - das ist einer dieser typischen Jürgen Klopp-Sprüche an seine Dortmunder Spieler, irgendwo zwischen Selbstbeschwörung und Dienstanweisung. Bei seinem letzten Spiel als Trainer für Borussia Dortmund hatten sich die elf Schwarz-Gelben auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions offenbar vorgenommen, diese Dienstanweisung in der Manier umzusetzen, die den Dortmundern in den letzten Jahren zwei Meistertitel, einen Pokalsieg und bis ins Champions League-Finale 2013 nach London gebracht hatte.

Der Rauch aus dem Dortmunder Fanblock hatte sich nach Anpfiff des 72. DFB-Pokalfinales noch nicht ganz verzogen, da setzte Dortmund sofort zum Gegenpressing an und brachte den Finalgegner aus Wolfsburg sofort ins Laufen. »Wir haben in den ersten Minuten gut angefangen, haben das gemacht, was wir machen wollten, Wolfsburg unter Druck gesetzt, schnell nach vorne gespielt.« Neven Subotic, der zusammen mit Kapitän Mats Hummels die Dortmunder Innenverteidigung bildet, war zumindest mit den ersten zwanzig Minuten sehr zufrieden. Zumal der Traum von einer weiteren Siegesfeier am Dortmunder Borsigplatz nach fünf gespielten Minuten in greifbare Nähe rückte: Erik Durm spielte auf rechts Shinji Kagawa frei, der vom rechten Strafraumeck Patrick-Emerick Aubameyang anspielte. Dessen Volleyschuss war für Diego Benaglio im Wolfsburger Tor unhaltbar.

Als Marco Reus nach 18 Minuten den Ball aus kürzester Distanz frei stehend über das Wolfsburger Tor jagte und so die Riesenchance auf die 2:0-Führung vergab, applaudierte Jürgen Klopp kurz aufmunternd an der Seitenlinie - bevor er die Arme wieder hinter seinem Rücken verschränkte. Klopp verfolgte die Partie sehr ruhig stehend, Hecking eher nicht, der sprang manchmal sogar ziemlich wild umher. Also ging die emotionale Aufladung sichtbar nur an Klopp vorbei.

Auch als Wolfsburg das Spiel innerhalb von nur 16 Minuten komplett drehte, nimmt der Dortmunder Coach in seinem 319. und letztem Pflichtspiel im Dienst des BVB die drei Gegentore durch Luiz Gustavo (22. Minute), Kevin De Bruyne (33.) und Bas Dost (38.) für seine Verhältnisse fast teilnahmslos hin. »Dann kam Wolfsburg und macht aus drei Chancen drei Tore - keine schlechten Tore, die haben das auch wirklich gut gemacht«, fasste Subotic die Viertelstunde Unordnung in der Dortmunder Hintermannschaft zusammen, die dem effektiven Vizemeister reichten, um erstmals den Pokal in die Autostadt zu holen.

Hielten die ersten zwanzig Minuten für die rund 50 000 Dortmunder Fans im Berliner Olympiastadion noch die Hoffnung am Leben, die Ära Klopp beim BVB mit einem Titel zu krönen, deckten die drei Wolfsburger Tore bis zur Halbzeit gnadenlos jene Zutaten auf, die zum Dortmunder Absturz in der Hinrunde bis auf den letzten Platz in der Bundesligatabelle führten: Ineffektivität und Pech im Abschluss, dazu immer wieder unerklärliche Patzer in der Verteidigung.

Beim Wolfsburger Ausgleich, laut Hummels »der Knackpunkt des Spiels« lässt Dortmunds Torhüter Mitchell Langerak einen Freistoß in die Mitte abprallen, Gustavo kann mit Links einschieben. Bei der Wolfsburger Führung legt Daniel Caligiuri den Ball auf de Bruyne, der aus 20 Metern sofort abzog - und dabei mit einem Aufsetzer die kleine Lücke in der Torwartecke fand, die Langerak ihm für einen Wimpernschlag bot. »Er hält einfach drauf und trifft den Ball perfekt. Er ist aber auch ein verdammt guter Spieler. Dem gelingt das öfter. Das ist auch kein garantiertes Tor, wenn einer aus 20 Metern draufhält«, erklärte Hummels nach Abpfiff. Bemerkenswert ruhig wie alle seine Mitspieler. In der Kabine hatte sich schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dieses Finale verdient verloren zu haben. Auch wenn nach dem Kopfball zum 3:1 durch Dost noch Chancen da waren, das Ergebnis bis zur Halbzeit zu korrigieren: Dortmunds Kapitän setzte in der 42. Minute einen Kopfball knapp rechts am Tor vorbei, kurz vor der Pause wurde Aubameyang im Strafraum bei seinem Schussversuch von Ricardo Rodriguez einfach umgesenst. Den fälligen Strafstoß wollte Schiedsrichter Felix Brych nicht gesehen haben.

»Trotz des einen nicht gegebenen Elfmeters: Wenn man so ein Spiel sportlich verliert, ist das deutlich einfacher zu akzeptieren als zum Beispiel im letzten Jahr«, meinte Hummels. 2014 im Pokalfinale gegen Bayern München war dem Dortmunder Kapitän ein reguläres Tor verweigert worden.

»Wenn es 3:1 steht, muss man das 3:2 machen, dann wird es noch einmal richtig spannend. So war es einfach nur spannend«, fasste Subotic die von beiden Teams offensiv geführte zweite Halbzeit zusammen, in der beide Teams Chancen auf weitere Tore vergaben. Aber auch wenn die Dortmunder Spieler nach Abpfiff erstaunlich ruhig blieben und den verdienten Sieg der Wolfsburger anerkannten - länger als nötig wollten sie sich die Jubelfeier der Mannschaft Dieter Heckings samt ersten Pokal für ihn und den VfL Wolfsburg nicht ansehen. Als Wolfsburgs Kapitän Diego Benaglio den Pokal in die Höhe riss, schlichen sich die Schwarz-Gelben an der Jubeltraube vorbei in die Katakomben des Olympiastadions. Die Medaillen für den zweiten Platz, im Finale eben die des Verlierers, hatten sie sich sofort vom Hals gerissen, nachdem Bundespräsident Joachim Gauck sie ihnen umgelegt hatte.

»Die Enttäuschung ist heute riesig, das ist keine Überraschung. Vor allem weil es wieder ein Spiel war, das wir durchaus auch in unsere Bahnen hätten lenken können«, brachte Hummels die Dortmunder Stimmung nach Abpfiff auf den Punkt. Aber unnötig aufregen wollte er sich auch nicht mehr: »Dann ist es halt verloren und dann sitzt du in der Kabine und kannst es nicht mehr ändern. Ich kann das Spiel ja nicht mehr in der Mixed Zone gewinnen.«

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